Am 25. Juni fand die vierte öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Mord an Walter Lübcke im hessischen Landtag statt. Als Zeugen geladen waren ein ehemaliger Staatsschutzbeamter aus Kassel und der ehemalige Leiter der Außenstelle Kassel des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Karl Ulrich Fehling. Anschließend war noch in nicht-öffentlicher Sitzung ein dritter Zeuge, der Leiter einer Sonderauswertungsgruppe aus dem LfV, geladen.
Die Sitzung war insgesamt verhältnismäßig unergiebig und wenig erkenntnisreich. Beide ehemaligen Beamten hatten nicht viel zum Thema beizutragen und warfen zugleich kein gutes Licht auf die (damalige) Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden in Hessen.
Der erste Zeuge, ein ehemaliger Staatsschutzbeamter in Kassel, war von Beginn bis Ende der 2000er Jahre für den Bereich Rechtsextremismus im Polizeipräsidium Nordhessen tätig. Er gab an, seine primäre Aufgabe sei gewesen, anfallende Daten, Berichte über die Szene oder bei Kontrollen festgestellte Daten in ein polizeiliches EDV-Programm „Merlin“ einzuspeichern.
Er habe Ernst gekannt und ihn damals als „Mitläufer“ eingestuft. Deshalb sei er darüber erstaunt, dass es mit Ernst „so gekommen sei“. Selbst die von ihm getätigten Zwischenrufe auf der Bürger*innenversammlung in Lohfelden, hätte er ihm nicht zugetraut. Er gehe davon aus, dass andere Neonazis auf Ernst eingewirkt haben müssten. Auf Nachfragen des Vorsitzenden, wer das gewesen sein könnte, meinte der Zeuge, dass er das nicht wisse. Es habe damals in Kassel „andere Kaliber“ von Neonazis gegeben, wobei er Bernd Tödter und „für den Fußballbereich“ Markus E. namentlich nannte. Auch zur damaligen Größe der Neonazi-Szene in der Region gefragt gab er an, er wisse es nicht und schätzte sie auf 30 Personen.
Zur extrem rechten Vita von Ernst und dessen Vorstrafen in den 00er Jahren konnte er kaum Angaben machen. Er wisse nicht, ob alle Straftaten, die Ernst vorgeworfen oder durch Ernst begangen wurden, damals auf seinem Schreibtisch landeten. Darüber hinaus gab er an, er habe im Jahr 2010/2011 das Sachgebiet gewechselt und war nach einer freiwilligen Fortbildung beim BKA für Islamismus zuständig. Ab diesem Zeitpunkt könne er dazu nichts mehr sagen. An die rassistisch motivierte Messerattacke auf der Kasseler Kirmes „Zissel“ am 02.08.2003, bei der Ernst auch anwesend war, konnte der Zeuge sich erinnern, auch daran, dass diese „Auseinandersetzung“ dann als Körperverletzungsdelikt eingestuft und an eine andere Abteilung abgegeben wurde. Weiter konnte er sich auch daran erinnern, dass Stephan Ernst damals angegeben habe, er sei nur dabeigestanden; und dass das Verfahren gegen ihn dann eingestellt worden war, da ihm keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden konnte. Auch nach dem Vorhalt, dass das Amtsgericht Ernst damals als Meinungsführer der Gruppe angesehen hatte, konnte der Zeuge sich an nichts erinnern. Zur Anti-Antifa-Arbeit von Ernst wusste er auch nach wiederholten Fragen nichts zu sagen und wusste auch mit dem Begriff Anti-Antifa nichts anzufangen.
Nach mehrmaligen Nachfragen und Vorhalten aus Akten, konnte er sich noch erinnern, dass er Mike S., Sebastian F. und Ernst im Jahr 2002 angetroffen habe. Ernst habe angegeben, dass er einen „Kommunistenstern“ übersprüht habe und dass es im Steinbruch in der Kohlenstraße in der Wilhelmshöhe in Kassel einen Diebstahl von Gasflaschen gab, um eine Tür aufzusprengen, um wiederum an Sprengstoff zu kommen. Darüber hinaus wusste er noch, dass Ernst beteiligt war, eine Veranstaltung vom Mobilen Beratungsteam in Kassel im Jahr 2007 zu stören und dass es dort zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen war.
In Bezug auf die Arbeitsweise gab der Zeuge an, er habe Polizeiberichte (von der Schutzpolizei und teilweise von der KriPo) bekommen, teilweise von Anfahrtskontrollen bei Sonnenwendfeiern und Kameradschaftstreffen. Auch Regionen in Nordhessen konnte er dabei benennen. So gab er an, dass neben Kassel (Stadt) es auch im Schwalm-Eder-Kreis und in Hofgeismar Kontrollen gegeben hatte. Diese Daten habe er dann in das Datenverarbeitungssystem „Merlin“ eingegeben. Wenn Straftaten von den ermittelnden Beamt*innen nicht als „politisch motivierte Kriminalität rechts“ eingestuft würden, dann landeten diese Delikte auch nicht beim Staatsschutz.
Er monierte, dass die Zusammenarbeit mit dem LfV nicht gut gelaufen sei. Er gab an, dass die LfV-Beamten gut informiert gewesen seien, dass der Staatsschutz kaum Informationen bekommen habe und dass „mehr Infos gezogen [wurden]als wir bekamen“. Weiter gab er an, er habe Temme misstraut und seine Anwesenheit im Internetcafé zum Tatzeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat habe ihn im Nachhinein darin bestärkt, dass Dinge „nicht richtig gelaufen“ seien.
Der zweite Zeuge, der öffentlich gehört wurde, Frank Ulrich Fehling, von 2004 bis 2007 Leiter der LfV Außenstelle Kassel, konnte sich für die Zeit zwischen 2004 und 2007 an „die Personen nicht mehr erinnern“. Der Zeuge war gezeichnet von einer schweren Krankheit und hatte große Erinnerungslücken. Bezüglich konkreter Personen erinnerte er sich von sich aus nur noch nur an Stephan Ernst, den er als „frechen jungen Mann“ charakterisierte. Zu konkreten, teilweise bundesweit bekannten Neonazi-Kadern und Vorfällen wusste der Zeuge auch nichts zu sagen. Beispielsweise gab er zunächst sogar an, auch Benjamin G., ehemaliger V-Mann von Temme, alias „Gemüse“, nicht gekannt zu haben. Er konnte auch nicht sagen, wie groß die örtliche Neonazi-Szene damals gewesen war. Er gab an, die Außenstelle des LfV Kassel habe keine Akten geführt, sondern nur Berichte geschrieben und diese nach Wiesbaden geschickt. Darüber hinaus gab es keine Aussagegenehmigung in Bezug auf die Arbeitsweise des LfV und über Beamte, die vor ihm dort eingesetzt waren.
Der dritte Zeuge wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehört.