Bericht zur 20. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsauschuss im hessischen Landtag (26.02.2016)

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Zur Sitzung am 26.02.2016 waren zum ersten Mal Zeugen aus der rechten Szene im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss geladen. Ausgesagt haben Benjamin Gärtner, ehemaliger V-Mann von Andreas Temme, sowie Michel F. aus Kassel. Temmes V-Mann hatte im Gegensatz zum NSU-Prozess in München dieses Mal eine vollständige Aussagegenehmigung vom Verfassungsschutz erhalten. Insgesamt war die Befragung von beiden wenig ergiebig, lediglich im Detail kamen interessante Erkenntnisse zutage. Teilweise unterließen die Abgeordneten des Ausschusses eine vertiefte Befragung. Neben den beiden Zeugen aus der rechten Szene sagten zwei Polizeibeamte aus, die mit den damaligen Ermittlungen zu tun hatten.

Zunächst wurde Benjamin Gärtner befragt. Er sagte aus, seit 1997 in der Kameradschaft Kassel gewesen zu sein, die aus ca. 30 Personen bestanden hätte. Zu den Aktivitäten zählte er Konzert- und Demonstrationsbesuche, außerdem sei viel getrunken und gegrillt worden. Zur rechten Musik sagte er, diese sei – wie jede rechte Musik – gewaltverherrlichend gewesen und habe aggressiv gemacht. Es habe dabei auch immer wieder gemeinsame Fahrten in andere Bundesländer, darunter Thüringen, gegeben. Michel F. sei damals sein bester Freund gewesen und habe Kontakte zu Sturm 18 gehabt. Erstaunlich war an der Befragung, dass die Abgeordneten kaum Wert darauf legten, die politische Überzeugung und Ideologie von Gärtner abzufragen. Auf Gärtners Aussage, er sei nicht mehr in der rechten Szene, sondern Familienvater, gab es ebenfalls kaum kritische Rückfragen. Lediglich ein Vorhalt aus den Akten wurde Gärtner entgegen gehalten, der dokumentiert, dass er im Dezember 2006 mit anderen Kameraden wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole verhaftet wurde. Dies sei aber rein privat gewesen, so Gärtner.

Gärtner sagte aus, er sei 2002 zur Bundeswehr gegangen. Dort habe er Probleme wegen seiner politischen Aktivitäten bekommen, weshalb er nicht als Zeitsoldat bei der Bundeswehr anfangen konnte. Nachdem klar war, dass er nicht bei der Bundeswehr bleiben durfte, seien zwei Beamte zu ihm gekommen, eine Frau und ein Mann. Ob sie vom Verfassungsschutz oder MAD waren, wisse er nicht, sie seien aber von der Bundeswehr gewesen. Diese hätten ihn aufgefordert, in der rechten Szene zu bleiben und gegen Geld Informationen zu liefern.

Vom Tode Halit Yozgats am 6.4.2006 habe er am selben Tag erfahren und seinen damaligen V-Mann-Führer Temme darauf angesprochen. In diesem Gespräch sei Temme nervös gewesen und habe sich ständig umgesehen. An die beiden Telefongespräche mit Temme am Tattag könne er sich nicht erinnern. Gärtner schilderte das Verhältnis zu Temme als nicht vertraut, besser sei sein Kontakt zum V-Mann Führer „Heinz“ (Fehling) gewesen. An der Befragung durch die Abgeordneten war problematisch, dass sie Gärtner nicht danach fragten, was er am 06.04.2006 gemacht hatte.

In früheren Sitzungen des Untersuchungsausschusses hatten einige Zeugen des Verfassungsschutzes angegeben, Gärtner sei auf die Deutsche Partei angesetzt gewesen, auch in den Akten finden sich entsprechende Vermerke. Umso erstaunlicher war seine Aussage im Ausschuss, von der Deutschen Partei noch nie etwas gehört zu haben. Selbst nach mehrmaligem Nachfragen konnte er sich nicht entsinnen, an entsprechenden Parteiveranstaltungen teilgenommen zu haben. Dies wirft die Frage auf, ob Gärtner diesbezüglich lügt oder die Vermerke von Temme und die Aussagen des Verfassungsschutzes falsch sind – Gärtner also entsprechend auf andere Strukturen angesetzt war. Gärtner gab an, dass er damals aus der rechten Szene aussteigen wollte. Dies habe Temme jedoch nicht gewollt. Er habe ihn dazu bewogen den Republikanern beizutreten. Dor sei er ein paar Mal gewesen und habe die Funktion des Kassenwarts übernommen.

Gärtner bekam im NSU-Prozess in München einen Rechtsbeistand vom LfV Hessen bezahlt. Nach seiner Schilderung seien VS-Beamte bereits 2012 auf ihn zugegangen und hätten ihm einen Anwalt angeboten. Mit diesem Anwalt habe es mindestens 4 Treffen gegeben. Zudem hielt der Ausschuss Gärtner noch Akten vor, die seine polizeiliche Vernehmung 2012 betrafen. Gärtner zeigte sich verwundert ob der Existenz des Protokolls. Ihm sei von der Polizei gesagt worden, das Protokoll wäre verschwunden und es gäbe in der Polizei einen Maulwurf. Diesen Widerspruch konnte der Ausschuss nicht aufklären.

Als nächstes wurde Michel F. befragt. Er gab an, mit 14 Jahren die ersten rechten Kameraden kennen gelernt zu haben. Er sei bei der Kameradschaft Kassel, der Oidoxie Streetfighting Crew und bei Sturm 18 gewesen. Konzerte habe er u.a. in Belgien besucht. 2009 in Eschede sei sein letztes für die Szene gewesen. Auf die Frage, wie er die Lieder der Band „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ finde, bemerkte Friedrich, diese würden „lustige Lieder“ machen.
Heute sei er nicht mehr aktiv und bereits 2009 nach seiner Haft ausgestiegen. Erstaunlich war, dass die Abgeordneten diesbezüglich nicht weiter nachfragten. Dabei wäre etwa interessant gewesen, über welches Aussteigerprogramm Michel F. ausgestiegen ist. Für einen Szeneausstieg gibt es Kriterien, die im Ausschuss nicht erörtert wurden.

Bei der Oidoxie Streetfighting Crew seien laut F. ca. 11 Leute gewesen. Auf einen Vorhalt aus der Zeitschrift Lotta, in der ein Bild mit 40 Personen zu sehen ist (darunter F.), sagte er nur, dies sei kein Gründerfoto. Dass F. auch auf diesem Bild zu sehen ist, wurde im Ausschuss erstaunlicherweise nicht erörtert. Er sagte, dass jemand ein T-Shirt der Crew trage, bedeute nicht, dort Mitglied zu sein.

Die Deutsche Partei kenne er nicht, mit Politik habe er nichts am Hut. Auch vom NSU habe er nichts gewusst, aber 2006 wahrscheinlich Böhnhardt in Kassel gesehen. Der Auschuss solle diesbezüglich einen Herrn Messerschmidt aus Thüringen fragen. So hatte er es bereits bei der Polizei ausgesagt. Die Holländische Straße, wo Halit Yozgat ermordet wurde, bezeichnete F. als „Ghetto“, dort würden nur Studenten und Zuwanderer abhängen.
Über Gärtner verlor der Zeuge keine guten Worte. Er bezeichnete ihn als „schlechtesten V-Mann, den ich mir vorstellen kann.“

Im Anschluss wurde Kriminalhauptkommissar S. (BKA) befragt. S. unterstützte in der BAO Bosporus die Abteilung Staatsschutz. Er war auch bei der Zeugenbefragung von Gärtner 2012 anwesend. Einen Ermittlungsansatz nach rechts habe man damals nicht gesehen. Die rechte Szene Nordhessen sei aber durch die Mordkommission Kassel überprüft worden. Die Liste des BKA mit möglichen Unterstützern des NSU kenne er nicht. Zu den Telefongesprächen zwischen Temme und Gärtner sagte S., es sei technisch möglich, dass das längere Gespräch von 11 Minuten tatsächlich kürzer gewesen sei und lediglich die TKÜ-Maßnahme eine längere Verbindung gewertet hätte.
Zuletzt wurde noch Polizist B. befragt, der Teamleiter im „Sachgebiet Rechts“ war. Der Beamte B. war als Teamleiter kaum direkt in die Ermittlungen eingebunden, weshalb seine Aussage keine neuen Erkenntnisse brachte.

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