Bericht zur 43. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag (03.11.2017)

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In der Sitzung am 03.11.2017 waren drei Zeug*innen geladen: Wilhelm Kanther wurde zu Umstrukturierungen beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) befragt, Peter Beuth zu dem geheimen Bericht des LfV über mögliche Bezüge des NSU nach Hessen und Sonja M. zur Überprüfung der Aussage einer Neonaziaktivistin über ihren Aufenthalt im Internetcafé Hait Yozgats.

Als erster Zeuge war der Mitarbeiter des hessischen Innenministeriums Wilhelm Kanther geladen. Im Oktober 2006 wurde Kanther zum Leiter einer Projektgruppe zur Neuausrichtung des hessischen LfV ernannt. Nach Kanthers Aussage sei dieser Plan bereits bei der Innenministerkonferenz 2011 Thema gewesen, Behörden befänden sich schließlich in einem ständigen Prozess zur Umstrukturierung. Doch auch die Selbst-Enttarnung des NSU Kerntrios wurde explizit im Bericht der Projektgruppe als ein Anstoß zur Reform benannt.
Die Projektgruppe bestand aus mehreren Arbeitsgruppen, welche die Reformierung des LfV in verschiedenen Bereichen voranbringen sollten. Kritisch hinterfragt wurde von einigen Abgeordnet*innen, dass die sieben „Arbeitsgruppen“ teilweise nur aus ein bis zwei Personen bestanden und bis auf eine alle von LfV-Mitarbeiter*innen geleitet wurden. So leitete beispielweise Iris Pilling, die Vorgesetzte des ehemaligen Vertrauenspersonen- (VP) Führers Andreas Temme, die Arbeitsgruppe zur Reform des Führens von VP. Kanther verteidigte dieses Vorgehen damit, dass für die Reformierung des LfV ein gewisses Fachwissen notwendig sei, weswegen er sich die Mitglieder der AGs habe vorschlagen lassen.
Er betonte in seiner Aussage immer wieder Reformen beim LfV hinsichtlich eines größeren Austausches untereinander und VP betreffend mit der Polizei und der gezielten Anwerbung von Polizist*innen als neue Mitarbeiter*innen. Auf den Bericht des LfV zu NSU-Bezügen in Hessen angesprochen teilte er mit, dass er den Eindruck hatte das die Geheimhaltungseinstufung von Akten im LfV teilweise zu hoch war.

Als zweiter Zeuge wurde der aktuelle hessische Innenminister Peter Beuth befragt. Die öffentliche Befragung verlief jedoch nur sehr kurz. Hintergrund war wieder der als geheim eingestufte Bericht des LfV Hessen zu NSU-Bezügen in Hessen. Beuth ist seit Januar 2014 Innenminister, die erste Version des LfV-Berichts, die das Innenministerium als unzureichend abtat und beim LfV nach Nachbesserung verlangte, stammt vom Dezember 2013. Die zweite Version bekam das Innenministerium im November 2014 in der Übergangszeit zwischen Beuth und seinem Vorgänger Boris Rhein, so Beuth. Ob er mit der Frage befasst war, ob der Bericht dem 2. Bundestaguntersuchungsausschuss vorgelegt werden sollte, konnte Beuth nicht mehr sagen. Die Einstufung des Berichts auf unter Verschluss für die nächsten 120 Jahre sei eine Entscheidung vom LfV gewesen. Dass es hierzu eine Diskussion im Innenministerium gegeben habe, könne er sich nicht erinnern. Anschließend wurde Beuth noch kurz in geheimer Sitzung befragt.

Zuletzt wurde die Zeugin Sonja M. befragt. Hintergrund ihrer Ladung war die Aussage der Neonaziaktivistin Corryna Goertz in der vorherigen öffentlichen Sitzung am 15.09.2017 (siehe Bericht 42. Sitzung): Goertz sagte damals aus, sie sei einige Wochen vor dem Mord an Halit Yozgat mehrfach in dessen Internetcafé gewesen. Den Hinweis auf dieses hätte sie von ihrer Mitinhaftierten Sonja M. bekommen, welche auch mehrfach mit ihr zusammen das Internetcafe besucht habe. Dies ist relevant da in der Wohnung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Zwickau eine Skizze des Internetcafés gefunden wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass der Tatort im Vorfeld ausgekundschaftet wurde, möglicherweise von lokalen Unterstützer*innen des NSU-Kerntrios.
Gleich zu Anfang ihrer Aussage bestritt Sonja M. die Darstellungen von Corryna Goertz vehement: Sie sei bis heute niemals in einem Internetcafe gewesen und kannte auch das Geschäft von Halit Yozgat nicht, bis es wegen des Mordes am 4. April 2006 in den Medien war und für die Untersuchungen der Polizei abgesperrt wurde. Corryna Goertz habe sie während ihrer Zeit in Haft, die sie wegen eines unpolitisches Delikts verbüßen musste, in der JVA Kaufungen kennengelernt und teilte sich für acht Monate eine Doppelzelle mit ihr. Sie waren auch zusammen im offenen Vollzug in der JVA Baunatal, ihr sei aber nicht bewusst gewesen, dass G. in der rechten Szene aktiv war oder rechte Einstellungen vertrat. Nach ihrer Entlassung sei der Kontakt zu Goertz abgebrochen, sie habe sie nie wiedergesehen oder sonst mit ihr zu tun gehabt. Sie habe Goertz weder dieses noch ein anderes Internetcafe empfohlen oder ihr davon erzählt.
Während ihrer gemeinsamen Zeit im offenen Vollzug sei Corryna Goertz des Öfteren mit ihr zusammen in die Wohnung gegangen, die sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten hatte und die sich nur wenige Minuten entfernt von dem Internetcafe in der Holländischen Straße befand. Diesem Teil der Aussage Goertz stimmte Sonja M. im Ausschuss zu, allerdings widersprach sie der Darstellung, dass sie dort gemeinsam im Internet surften, da sie damals noch gar keinen Internetanschluss hatte. Insgesamt steht die Aussage von Sonja M. in deutlichem Widerspruch zu der von Corryna Goertz.

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