Bericht zur elften öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses (20. Juli 2015)

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Am 20.07.2015 fand die elfte Sitzung des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses im Wiesbadener Landtag statt. Als Zeugen waren Peter S., ehemaliger Abteilungsdirektor beim hessischen Verfassungsschutz (LfV) und Dr. Herbert Diemer, Bundesanwalt am Bundesgerichtshof (BGH) und zuständig für die Ermittlungen zum Münchener NSU-Prozess, geladen.

Die Sitzung begann mit der Vernehmung von Peter S., der zu Verbindungen des NSU zur rechten Szene in Hessen aussagen sollte.
Schon vor Beginn der Vernehmung wurde die öffentliche Sitzung allerdings unterbrochen, um in einer internen Diskussion zunächst über die Aussagegenehmigung zu diskutieren, die vom LfV Hessen für S. ausgestellt wurde.
S. war von 1973 bis Ende 2007 für den hessischen Verfassungsschutz tätig. Er war zuletzt Abteilungsdirektor für Links-, Rechts- sowie den so genannten „Ausländerextremismus“. Die Morde des NSU waren nach seiner Einschätzung nicht als rechter Terror erkennbar. Rechte Anschläge, wie die von Peter Naumann oder der deutschen Aktionsgruppen um Manfred Röder hätten immer symbolträchtige Ziele gehabt. Morden an Einzelpersonen würde unter anderem dieses Merkmal fehlen. Die Tatsache, dass alle Opfer einen Migrationshintergrund als einziges verbindendes Merkmal hatten, war für S. kein Hinweis auf ein rechtes Motiv.
Hessen sei ein Schwerpunkt der rechten Szene gewesen, die Erkenntnisse dazu seien in den Jahresberichten des VS veröffentlicht worden. An weitere Informationen dazu könne er sich nicht erinnern, da es schon zu lange her sei. Auf Nachfrage gab er an, dass er die entsprechenden Akten zur Vorbereitung nicht lesen wollte. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Landesämter für Verfassungsschutz sei seiner Einschätzung nach sehr intensiv und ausreichend gewesen. Insbesondere nach Thüringen wäre der Kontakt gut gewesen. Ein Großteil der Informationen über die rechte Szene in Hessen kam von den V-Leuten, andere Mittel der Überwachung wurden nicht eingesetzt. Konkrete Informationen zur Nazi-Szene in Hessen konnte S. Allerdings nicht machen. Blood and Honour habe seiner Meinung nach nichts mit Terrorismus zu tun, der Begriff Combat 18 sage ihm nichts, ebenso wenig wie die Gruppe Oidoxie, die Zeitung „Der weiße Wolf“, die Turner Diaries oder das Konzept des Führerlosen Widerstands. Er hält es für möglich, dass diese Begriffe und Gruppen im Laufe seiner Arbeit auftraten, jedoch hätten sie damals keine große Relevanz gehabt und er erinnere sich heute nicht mehr daran. Verbindungen der Nazi-Szene zwischen Thüringen und Hessen seien ihm nur in Bezug auf Konzerte und Demonstrationen bekannt. Hinweise zum Mord an Halit Yozgat oder eine (strukturelle) Veränderung der Nazi-Szene im Vorfeld des Mordes seien ihm nicht bekannt gewesen. Konkrete Verbindungen des NSU nach Hessen hätte es nicht gegeben. Nur zu Manfred Röder, dessen Aktivitäten ihn in seiner Laufbahn immer wieder beschäftigt hätten, konnte er einige grobe Fakten nennen. Es gibt nach seinen Angaben circa 15-16 Aktenordner beim LfV Hessen über Röder, die vermutlich noch nicht vernichtet wurden oder dem Staatsarchiv Wiesbaden übergeben wurden. Diese sollen nun für den Untersuchungsausschuss angefordert werden.
S. übernahm für einen längeren Zeitraum (ca. 10 Monate) im Jahr 2006 den Posten des Direktors des LfV Hessen, da dieser (Irrgang) abwesend war. Wer in dieser Zeit seine Aufgabe als Abteilungsleiter übernommen hat, blieb unklar. Das Organigramm des VS von 2006 zeige, dass der Schwerpunkt zu dieser Zeit auf dem so genannten „Ausländerextremismus“ lag, da dieser Bereich personell am stärksten besetzt war.

Nach einer kurzen Pause wurde die Sitzung mit der Vernehmung von Dr. Herbert Diemer fortgesetzt. Diemer ist Bundesanwalt am Bundesgerichtshof in Karlsruhe und zuständig für die Ermittlungen im NSU-Komplex seit 2011.
Zunächst gibt er einen kurzen Überblick über die Ergebnisse der Ermittlungen zu den Beweisthemen der Ausschusssitzung. Er weist darauf hin, dass seine Aussagen und Einschätzungen sich auf strafrechtlich relevante und eindeutig nachweisbare Sachverhalte beschränken. Er vertritt die These, dass durch die Zufälligkeit der Auswahl der Opfer Unsicherheit hervorgerufen werden sollte. Es gäbe viele Hinweise darauf, dass Mundlos und Böhnhardt (potenzielle) Tatorte selbst ausgekundschaftet und dabei auch Notizen zu den (potenziellen) Opfern verfasst haben (z.B. „Opfer zu alt“). Der NSU hat sich nach seinen Erkenntnissen streng abgeschottet. Bis zum Jahr 2000 ließe sich ein Unterstützer*innen-Netzwerk feststellen, das durch das Bereitstellen von Ausweisen und Geld das untergetauchte Kerntrio unterstützt habe. Mit Beginn der Raubüberfälle würden die Hinweise auf ein Unterstützer*innen-Netzwerk allerdings versiegen. Es gebe keine strafrechtlich relevanten Hinweise auf Verbindungen des NSU zur Nazi-Szene in Hessen. Genau so gäbe es keine eindeutigen Beweise für eine Beteiligung ortskundiger Dritter beim Mord an Halit Yozgat 2006. Auch für Andreas Temme ließe sich eine Beteiligung oder Wissen über die Tat nicht zweifelsfrei nachweisen.

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