Bericht zur 14. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag (23.11.15)

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In der 14. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 23. November 2015 wurden führende Ermittler im Mordfall Halit Yozgat angehört. Geladen waren der Staatsanwalt Dr. Götz Wied (StA Kassel) sowie der Leitende Kriminaldirektor H. (Polizeipräsidium Nordhessen). Beide Zeugen wurden insgesamt rund neun Stunden befragt.

Als erster Zeuge wurde der Staatsanwalt Dr. Götz Wied angehört. Wied übernahm die Ermittlungen im Fall Halit Yozgat im Rahmen seines Bereitschaftsdienstes. Gewöhnlich sei er nicht für Morde, sondern Rauschgiftdelikte zuständig gewesen. Mit Ausnahme eines Zeitraumes von November 2009 bis Mai 2010 sei er während der Zeit des Ermittlungsverfahrens zuständiger Staatsanwalt gewesen.
Wied beschrieb zunächst seine Ankunft am Tatort in der Holländischen Straße. Der Tatort sei bereits abgesperrt, zahlreiche Beamte und die Spurensicherung vor Ort gewesen. Erste Zeug*innen seien vor Ort vernommen worden. Am folgenden Tag sei die Obduktion erfolgt und bekannt geworden, dass der Mord zur bundesweiten Mordserie gehöre, die damals „untechnisch Dönermorde“ genannt wurde. Weiter berichtet Wied, dass die Mordkommission Café (MK Café) mit 50-60 Beamt*innen zu arbeiten begann. Diese habe, so Wied, mit der BAO Bosporus und einer Ermittlungsgruppe des BKA zusammengearbeitet. Erstes Ziel sei es gewesen, herauszufinden, warum gerade Yozgat ermordet worden sei. Zur Beantwortung der Frage seien Daten von Handyfunkzellen bei Kommunikationsanbietern ausgewertet worden. Erste Ermittlungen hätten sich auf zur Tatzeit im Internetcafé Anwesende gerichtet. Es hätte vage Bezüge ins Drogenmilieu ergeben, auch Schutzgelderpressung sei in Betracht gezogen worden. Zudem sei man der Frage nachgegangen, ob die Tat nicht Halit Yozgats Vater gegolten habe, der zum Tatzeitpunkt seinen Sohn hätte ablösen sollen. Durch eine Zeugenaussage habe man erfahren, dass ein weiterer Mann im Internetcafé anwesend war. Diesen habe man erst durch die Auswertung des PCs mit einer Abfrage bei dem Anbieter einer Datingseite, die am PC aufgerufen worden war, ausfindig machen können. Darüber sei man auf die Telefonnummer Temmes gestoßen. Er wurde als Beschuldigter verdächtigt, da er sich aufgrund des Zeugenaufrufs nicht gemeldet hatte. Es habe einen Beschluss für eine Hausdurchsuchung bei Temme gegeben. Anlässlich dieser habe sich Temme als Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) zu erkennen gegeben. Wied gab an, es habe ihn irritiert, dass die Hausdurchsuchung bei Temme nach Bekanntwerden seiner Mitarbeit im LfV bis zum Abend ausgesetzt worden sei. Temme sei zwar vorläufig festgenommen worden, nach Rücksprache mit den Leitern der MK Café habe Wied jedoch beschlossen, keinen Haftbefehl auszustellen.
Wied berichtet, auf einem Treffen der BAO Bosporus hätte es Überlegungen gegeben, der Mörder könne aus dem rechten Spektrum kommen. Konkrete Ansatzpunkte für eine Ermittlung nach rechts hätten jedoch auch nicht die Funde rechter Publikationen in Temmes Elternhaus gegeben.
Bezüglich der Durchsuchung von Temmes Büro in der Außenstelle des LfV in Kassel berichtet Wied, es sei unüblich, dass vor einer solchen Durchsuchung ein Vorgesetzter informiert wird. Das Verhältnis zum LfV beschreibt Wied als „grundsätzlich kooperativ“. Lediglich bei der Verweigerung der Vernehmung von Temmes V-Leuten endete diese Kooperation. Die V-Leute sollten vernommen werden, um Auffälligkeiten in Temmes Verhalten zu erfragen. Das Angebot, Temmes Quellen durch LfV-Mitarbeiter unter Anwesenheit von legendierten Polizeibeamten zu vernehmen, habe Wied ablehnt. Er begründete dies mit möglichen Verfahrensproblemen im Strafverfahren, die beispielsweise Beweisverwertungsverbote nach sich gezogen hätten.
Wied war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht lange bei der Staatsanwaltschaft. Der Mord an Halit Yozgat gehörte zu seinen ersten größeren Fällen. Trotzdem verwies er bei vielen Fragen der Abgeordneten auf Erinnerugslücken. So wurden zum Beispiel Teile der bei Andreas Temme sichergestellten Asservate frühzeitig – noch vor Ende der Ermittlungen gegen Temme – vernichtet. An die entsprechende Anweisung konnte sich Wied allerdings nicht erinnern, obwohl er nach eigener Aussage dafür zuständig war.

Als zweiter Zeuge wurde der leitende Kriminaldirektor H. befragt. H. oblag die Dienst- und Fachaufsicht der MK Café. Er gab an durch seine Teilnahme an den Frühbesprechungen stets auf dem aktuellen Stand der Ermittlungen gewesen zu sein. Der Kontakt zum Innenministerium sei gut gewesen, die Mordkommission hätte jegliche Unterstützung bekommen. Die These, die Tat sei der Organisierten Kriminalität (OK) zuzurechnen, habe er schnell Infrage gestellt. H.n berichtete, er habe eine unabhängige Fallanalyse angeregt, die dann vom LKA in Baden-Württemberg erstellt worden sei. Diese ergab, dass es sich bei dem Täter wahrscheinlich um einen Einzeltäter handelt, der aus „Hass auf Türken“ morde. Konkrete Hinweise auf Bezüge zur rechten Szene in Kassel habe es keine gegeben. H. gab an, sie seien davon ausgegangen, das LfV hätte sie informiert, wenn sie etwas gewusst hätten. Die Zusammenarbeit mit dem LfV beschreibt H. als zunächst kooperativ. Das habe sich jedoch geändert, als es um die Befragung der V-Leute von Temme ging. H. gibt an, die Quellen Temmes sollten befragt werden, um etwas über die Persönlichkeit Temmes sowie dessen Alibis zu erfahren. Hierfür sei es wichtig gewesen mit allen Quellen Temmes zu sprechen, insbesondere mit jenen mit denen er rund um die Zeit des Mordfalls Kontakt hatte. H. zufolge habe die MK Café den Eindruck gehabt, Temme würde sich bewusst oder unbewusst nicht erinnern. Von Temme selbst sei der Vorschlag gekommen ein kognitives Interview durchzuführen. H. zufolge habe sich Temme dann jedoch nicht darauf eingelassen, weswegen das Ergebnis ernüchternd gewesen sei. Weiter gab H. an, die Tatsache, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Verfassungsschutzmitarbeiter handelt, habe die Polizei verunsichert, weswegen sie die Hausdurchsuchung nicht unmittelbar durchgeführt hatten. H. gestand ein, dass die Aufschiebung der Hausdurchsuchung ungewöhnlich sei und Risiken berge, darin jedoch keine Gefahr gesehen wurde. Seiner Einschätzung nach habe Temme die Schussgeräusche hören müssen. Der Schuss sei auch mit einem Schalldämpfer 115 dB (ohne 130 dB) laut gewesen. Er habe Zweifel an Temmes Darstellung. Die Telefonüberwachung, die bereits vor der Hausdurchsuchung begann, habe ein „mehr als fragwürdiges“ Verhalten der LfV-Mitarbeiter*innen ergeben. Den Hinweis des Geheimschutzbeauftragten Hess an Temme, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, machte H. hellhörig. Er geht davon aus, dass man entweder die Wahrheit sagt oder lügt. Die Aussage Hess sei so ungewöhnlich gewesen, dass er das Innenministerium darüber informiert hat. Bezüglich des besagten sowie weiteren überwachten Telefonaten zwischen Temme und LfV-Mitarbeiter*innen sei das Gefühl entstanden, dass da etwas nicht stimme. Auch habe es das Gefühl gegeben, dass Temme auch nicht alles sagen durfte.
Bis zur Übernahme des Generalbundesanwalt Ende 2011 sei die Zusammenarbeit mit der BAO Bosporus gut gewesen. Es seien rund 32 Mio. Daten (Auto-Kennzeichen, Zahlungsdaten, Telefondaten, Hotels etc.) überprüft worden. Auch die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft sei hervorragend gewesen.
Auf die Frage, was H. über Temmes Kontakten zu den Hells Angles wisse, antwortete er, dass Temme früher gerne Motorrad gefahren sei, in einem Charta der Hells Angles war und Kontakte zum damaligen Chef dieser hatte. Die Polizei sei irritiert gewesen, dass in deren Räumlichkeiten ein Informationsblatt der sächsischen Behörden gefunden wurde. Man habe darüber nachgedacht, ob dies durch Temme dort hin gekommen sei.

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