Zur ersten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses nach der parlamentarischen Sommerpause am 14.09.2015, der 12. öffentlichen Sitzung insgesamt, waren drei Polizeibeamte aus dem Polizeipräsidium Nordhessen als Zeugen geladen. Im Fokus des UA liegt ab dieser Sitzung der Mord an Halit Yozgat. Alle drei geladenen Polizisten waren am Tattag am Tatort.
Als erster Zeuge wurde Kriminaloberkommissar Werner I. angehört, der als Beamter des Erkennungsdienstes am Mordtag am Tatort eingesetzt war. Seine Aufgabe bestand darin, den Tatort und die gesicherten Spuren fotografisch zu dokumentieren. Außerdem hat I. etwa sechs Wochen nach der Tat eine Wegerekonstruktion mit Andreas Temme durch das Internetcafé gefilmt . Während der Befragung des Zeugen wurden immer wieder Tatortfotos gezeigt. I. konnte jedoch nicht mehr mit Sicherheit sagen, welche davon er gemacht hatte. Zudem wurden ihm zwei verschiedene Skizzen vorgelegt, die den Tatort unterschiedlich darstellen. I. gab jedoch an, die Skizzen nicht zu kennen. Auch bei der digitalen Blickwinkelrekonstruktion (die versucht, Temmes Sichtfeld zu rekonstruieren), die dem Zeugen vorgespielt wurde, gab er an, diese zum ersten Mal zu sehen. I. wurde danach gefragt, ob er glaube, dass Andreas Temme den Leichnam von Halit Yozgat hinter dem Verkaufstresen gesehen habe. Er gab an, hierzu keine Aussage machen zu wollen, da er es nicht sagen könne. In diesem Zusammenhang wurde ihm das Video der Wegerekonstruktion vorgespielt und darauf hingewiesen, dass Temme überall hinschaue, nur nicht in Richtung Verkaufstresen, wo er Yozgat, den er angeblich gesucht habe, vermuten musste. In diesem Zusammenhang sagte Holger Bellino (CDU), dass es ja nicht sicher sei, dass Andreas Temme zur Tatzeit am Tatort war. Es bestehe immer noch die Möglichkeit, dass er vorher gegangen sei. Zudem ging es um die Bluttropfen auf dem Tresen und die Frage, ob es möglich sei, dass Temme diese nicht gesehen habe. Schließlich habe er nach eigenen Angaben ein 50-Cent-Stück auf den Tresen gelegt. I. gab an, dass die Sensibilität, Dinge zu sehen, wohl subjektiv sehr unterschiedlich sei. Er hätte die Blutspuren sicher sofort gesehen, er könne sich jedoch nicht aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass man sie auf jeden Fall hätte sehen müssen. Thematisiert wurde darüber hinaus die Anwesenheit eines weiteren Zeugen, der während des Mordes in einem der vier Telefonkabinen im vorderen Raum des Internetcafés (in dem der Mord stattgefunden hat) telefonierte. I. Einschätzung zufolge sei es _ wenn mit Schalldämpfer geschossen werde durchaus möglich, die Schüsse zu überhören, wenn man gleichzeitig telefoniere. Zudem wurde I. ein Foto gezeigt, das auf den 9. April datiert ist und den Tresen mit anderen Gegenständen zeigt, als bei den unmittelbar am Tattag aufgenommenen Fotos . I. war verblüfft über dieses Foto und konnte keine Angaben dazu machen, wer es gemacht habe und wie es zustande gekommen sein könnte. Generell würden Veränderung am Tatort aber nur „spurenschonend“ vorgenommen.
Als zweiter Zeuge wurde der Kriminaloberkommissar Karl-Heinz G. angehört. G. war als erster Beamter der nordhessischen Mordkommission am Tatort. Als er dort eintraf, waren bereits mehrere Funk- und Rettungswagen vor Ort. Gerstenberg traf dort auch auf vier Zeug*innen, die sich während der Tat im Internetcafé aufhielten. Zwei Jugendliche und eine Frau saßen im hinteren Raum des Internetcafés und ein Mann telefonierte im vorderen Raum. Letzterer gab an, so G., während seines Telefonat zwei Platzgeräusche wahrgenommen zu haben, trotzdem habe er weiter telefoniert. Die Türen der Telefonzellen seien großflächig mit Plakaten beklebt gewesen, so dass die Sicht in den Innenraum sehr beschränkt gewesen sei. Nach den von ihm als Platzgeräusche wahrgenommenen Schüssen habe er schemenhaft eine Person gesehen, die den Laden verlassen habe: einen über 1,80 m großen Mann mit einer hellen Jacke. Nach seinem Telefonat habe er zahlen wollen, habe jedoch den jungen Mann nicht mehr gesehen. Er habe Stimmen im hinteren Raum wahrgenommen und die beiden Jugendlichen nach Yozgats Verbleib befragt, die jedoch auch nicht wussten, wo er war. Aus Respekt habe er mit einem Abstand von ca. 1,50m zum Tresen (weswegen er weder den Leichnam noch Blutspuren gesehen habe) gewartet, bis Yozgats Vater einige Minuten später im Internetcafé eintraf und seinen toten Sohn entdeckte. G. stufte die Aussage des Zeugen als glaubwürdig ein. Er gab zudem an, das zwischen Wand und Tresen ein Schreibtischstuhl gestanden habe, an dessen Rückenlehne eine Jacke hing. Dieser Stuhl habe die Sicht auf den Bereich hinter dem Tresen versperrt. Die Rettungskräfte hätten Yozgats Leichnam hinter dem Tresen hervorgezogen, weswegen dieser bei seinem Eintreffen im Raum lag. Sowohl die Untersuchung des Tatorts sowie der Umgebung, als auch die Befragung der Zeug*innen hätten keine Hinweise für das Tatgeschehen geliefert. Dies habe G. Kopfschmerzen bereitet, da die Holländische Straße eine sehr befahrene und belebte Straße sei und er große Hoffnungen gehabt habe, dass irgendjemand etwas gesehen hat. Dass sich nichts ergeben habe, beschrieb G. als „Wahnsinn“. Er war sich von Anfang an sicher, dass die Tat keine Person allein gemacht haben könne.
Thematisiert wurde zudem die Sichtmöglichkeit von Temme von dem Computerplatz im hinteren Raum. G. gab an, dass man von dem Sitzplatz aus einen schmalen Blick in den Vorraum habe. An der Blickwinkelrekonstruktion sei er nicht beteiligt gewesen. Die Frage nach seiner Einschätzung, ob Temme den Leichnam (als er nach eigenen Angaben das Geld auf den Tresen legte) hätte sehen müssen, bejahte G. In die Ermittlungen gegen Temme war G. nicht eingebunden. Insgesamt, so G., seien mehr als 100 Beamte in die Ermittlungen der SoKo „Café“ eingebunden gewesen. Auf die Frage, ob er daran gedacht habe, die Tat könne einen rechtsextremen Hintergrund haben, antwortete G., es habe kein Bekennerschreiben gegeben. Warum trotz fehlender Erkenntnisse in Richtung Organisierte Kriminalität bzw. „Ausländerkriminalität“ und nicht Rechtsextremismus ermittelt wurde, konnte G. nicht beantworten.
Als dritter Zeuge wurde der Kriminalhauptkommissar Karsten R., damaliger Teamleiter bei der nordhessischen Mordkommission, befragt. Er gab jedoch an, nur die ersten zwei Tage nach dem Mord mit diesem Fall beschäftigt gewesen zu sein. R. schilderte zunächst seine Sicht der Dinge rund um die Tat und den Tatort. Auch er gab an, es habe keine Hinweise für einen rechtsextremen Hintergrund gegeben. Man habe allerdings noch in der Nacht des Tattags die Wohnung einer letztlich unschuldigen Familie in Baunatal durchsucht. Hintergrund seien Gerüchte gewesen, die der damalige Migrationsbeauftrage des PP Nordhessen aufgeschnappt habe und denen zufolge eine Ex-Freundin von Halit Yozgat mit der Tat zu tun haben könnte. Für Fehler bei den Ermittlungen gebe es keine Hinweise, es sei das Standardprogramm gefahren worden. Auf die Frage, ob Temme seiner Einschätzung nach den Leichnam hätte sehen müssen, antwortet R., es stehe ihm nicht zu, das zu bewerten. Er verstehe nicht, warum Temme beim Prozess nicht einfach gesagt habe, er hätte ihn gesehen. Dadurch hätte er sich eine Menge unangenehmer Fragen ersparen können. Er schlug dem UA vor den Tatort nachzustellen, da die Einschätzungen sonst schwer nachzuvollziehen seien.