40. Prozesstag, 22. Dezember 2020

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Am 40. Verhandlungstag im Prozess wegen des Mordes an Walter Lübcke und des Messerangriffs auf Ahmed I. verlas die Bundesanwaltschaft (BAW) ihr Plädoyer. Hierin forderte sie eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung für Stefan Ernst wegen des Mordes an Walter Lübcke und des versuchten Mordes an Ahmed I. sowie eine Haftstrafe von neun Jahren und acht Monaten für Markus Hartmann wegen der Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Zu Beginn des Prozesstags verlas der Nebenklageanwalt von Ahmed I., Alexander Hoffmann, eine Gegendarstellung zur Ablehnung seines letzten Antrags. Er hatte gefordert, den USB-Stick von Stephan Ernst, auf dem sich die Messerquittung befand, forensisch untersuchen zu lassen, da sich darauf noch verschlüsselte Dokumente befanden. Ein mögliches zweites Messer, das am 30.01.2016 gekauft worden sein könnte, habe in der Zwischenzeit verloren oder verborgt sein können. Er bat zu untersuchen, inwiefern die Dokumente auf dem USB-Stick als Legendierung, also Täuschung, angelegt worden sein könnten. Die Bundesanwaltschaft schloss sich der Deutung an, dass mit der Quittung das bei Ernst im Keller gefundene Messer nicht als Tatwaffe ausgeschlossen werden könne.

Im Anschluss verlas die BAW ihr Plädoyer. Die Bundesanwaltschaft sah es als erwiesen an, dass Stefan Ernst Walter Lübcke heimtückisch und aus niederen Beweggründen ermordete. Der Mord an Walter Lübcke, laut BAW der erste rechtsextreme Mord an einem Politiker in Deutschland seit der Ermordung Walther Rathenaus, stehe in der Tradition des führerlosen Widerstands und den Morden an Rudi Dutschke, Frida Pöschke und Shlomo Lewin und den Taten von Anders Breivik und des NSU. Walter Lübcke sei für sein Verständnis von Verantwortung, seine Überzeugungen und Entscheidungen ermordet worden. Auch wenn es nicht auf der Hand liege, sei Walter Lübcke letztlich aus rassistischen Gründen getötet worden, so die BAW.

In ihrem Plädoyer folgte die BAW weitgehend der ersten Aussage von Stephan Ernst, nachdem dieser Walter Lübcke alleine aufgesucht haben soll, um ihn zu ermorden, unterstützt im Vorfeld von Markus Hartmann. Die BAW ist überzeugt, dass Ernst nach dem gemeinsamen Besuch der Bürgerversammlung mit Hartmann seinen Hass auf Walter Lübcke projizierte und beide sich einig waren, handeln zu müssen. Spätestens beim Kauf einer Langwaffe sei Ernst fest dazu entschlossen gewesen, Lübcke zu ermorden. Zur Vorbereitung dessen habe er begonnen, die Lebensumstände von Lübcke auszukundschaften, fuhr mehrmals zu dessen Wohnhaus und filmte die Umgebung mit einer Dashcam und einer Wärmebildkamera. Am Tattag sei Ernst wieder zu dessen Wohnhaus gefahren und habe am Schein eines Smartphonedisplays erkannt, dass Lübcke auf der Terrasse sein musste. Daraufhin sei er mit gezogener Waffe zu diesem hin und habe ihm in den Kopf geschossen. Zur Verschleierung der Tat löschte Ernst einen umfangreichen Chatverkehr mit Markus Hartmann und Alexander Schn., vergrub die Tatwaffe und weitere Waffen auf dem Gelände seiner Arbeitsstelle und bat einen Freund und Kollegen, ihm ein Alibi zu geben, so die BAW.

Diese Version des Tatgeschehens begründete die BAW vornehmlich mit den DNA-Spuren von Ernst am Tatort, sowie den unterschiedlichen Geständnissen von Ernst, wovon nur das erste glaubhaft sei: Die späteren Geständnisse, in denen Ernst Markus Hartmann beschuldigte, abgedrückt zu haben bzw. angab, dass dieser mit ihm am Tatort gewesen war, als Ernst die Waffe hielt und sich ein Schuss löste, seien immer an den aktuellen Ermittlungsstand angepasst und taktisch motiviert gewesen. Für das erste Geständnis hingegen habe Ernst sich initiativ an die Polizei gewendet, ohne dass diese auf ihn Druck ausgeübt hätte. Auch sei er nur in diesem Geständnis emotional und reflektiert gewesen, während er sich bei den anderen in sich widersprüchlichen Versionen darauf beschränkt habe, auf Fragen zu antworten. Hinzu kämen Pläne zur Durchführung von Straftaten, welche bei Ernst gefunden wurden, die sich wie Blaupausen zum Mord an Walter Lübcke lesen würden. Aufgrund all dessen forderte die BAW, Ernst für den Mord an Walter Lübcke zu verurteilen.

Darüber hinaus forderte sie, Ernst auch wegen des Angriffs mit einem Messer auf Ahmed I. wegen versuchten Mordes zu verurteilen. Laut BAW sei Stephan Ernst wegen der Äußerungen Walter Lübckes bei der Bürgerversammlung in Lohfelden aufgebracht gewesen. Am 6. Januar 2016, zwei Wochen nach der sogenannten „Silvesternacht in Köln“, habe sich die Stimmung bei Ernst zugespitzt: Er sei den ganzen Tag über aggressiv gewesen und habe einen Mann bedroht. Abends sei Ernst auf sein Fahrrad gestiegen und habe in der Nähe der, wenige Wochen zuvor, geöffneten Geflüchtetenunterkunft Ahmed I. auf dem Gehweg laufen sehen. Ernst habe sich von hinten genähert und dem arglosen Ahmed I. von hinten mit einem Messer in den Rücken gestochen, bevor er sich schnell entfernte. Dabei verletzte er Ahmed I., der bis heute unter den Nachwirkungen leidet, sehr ernst. Hätte das Messer Ahmed I. einen Zentimeter neben der Stichwunde getroffen, wäre dieser an den Verletzungen gestorben.

Die BAW begründet ihre Überzeugung, dass Ernst die Tat begangen hat, mit einem „Ring von Indizien“: Allem voran sei hier das rote Klappmesser zu nennen, das bei einer Hausdurchsuchung bei Ernst gefunden wurde. Dieses Messer, das von Ernst nach dem Kauf auf beiden Seiten angeschliffen und somit extra zur Stichwaffe umfunktioniert wurde, passe nicht nur zu den Verletzungen von Ahmed I., es fänden sich darauf auch DNA-Spuren, bei denen zwar keine genaue Übereinstimmung zur DNA von Ahmed I. nachweisbar sei. Es weise jedoch DNA-Fragmente auf, die so selten seien, dass es sich um DNA-Rückstände von Ahmed I. handeln müsse. Zwar habe man bei Ernst einen Kaufbeleg für ein solches Messer gefunden, datiert auf den 30.01.2016, also etwa drei Wochen nach der Tat. Jedoch sei nicht gesichert, dass es sich dabei um dasselbe Messer handelt oder ob Ernst, nach seiner Befragung durch die Polizei zu der Tat, sich nicht mit dem Kauf eines weiteren gleichen Messers ein „technisches Alibi“ verschaffen wollte. Die Aufbewahrung des Kaufbelegs vom 30.01.2016 zu Garantiezwecken ergebe jedenfalls keinen Sinn, da die Garantie durch den eigenhändigen Schliff verfallen sei. Zudem sei die Tat Stephan Ernst nicht wesensfremd: Er hatte bereits Jahre zuvor im Wiesbadener Hauptbahnhof einen Menschen aus rassistischen Motiven auf ähnliche Weise niedergestochen. Außerdem wiesen Videoaufnahmen des Täters erhebliche Übereinstimmungen zu Ernst, seinem Fahrrad und seiner Kleidung auf. Des Weiteren kannte Ernst den Ort von seinem Arbeitsweg und hatte in einer Aussage davon berichtet, am 01.06.16 in der Stadt unterwegs gewesen zu sein und Wahlplakate umgetreten zu haben. Diese Aussage ergebe aber nur Sinn, wenn es nicht am 01.06., sondern am 06.01.16 geschehen sei. Ahmed I. sei zudem als Geflüchteter in jener Unterkunft, die auf der Bürgerversammlung Thema war, auf der Walter Lübcke sprach, eine besondere Projektionsfläche für Ernsts Aggressionen. Zusammenfassend habe Ernst also ein Motiv, die Gelegenheit, die Fähigkeit, die Zeit, ein entsprechendes Fahrzeug, ähnliche Kleidung und ein passendes Messer mit passenden DNA-Fragmenten, so die BAW. Daher forderte sie, Stephan Ernst für den versuchten Mord an Ahmed I. zu verurteilen.

Für beide Taten gemeinsam plädierte die BAW auf eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung für Stephan Ernst.

Für Markus Hartmann forderte die BAW eine Verurteilung wegen der psychischen Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke. Hartmann beging mit Ernst gemeinsame Schießübungen, weckte dessen Interesse an Schusswaffen und habe ihm nahegelegt, sich für einen anstehenden Bürgerkrieg zu bewaffnen, so die BAW. In ihrer Sichtweise hätten sich Ernst und Hartmann gegenseitig bestärkt und gemeinsam Demonstrationen besucht. Die entscheidende Frage sei, so die BAW, ob Hartmann einen Anschlag von Ernst auf Lübcke für möglich gehalten und dies billigend in Kauf genommen hätte. Hierfür sprächen eine Reihe von Indizien: Hartmann hatte den Videomitschnitt von Lübckes Rede auf der Bürgerversammlung auf seinem PC,und soll sich, laut einer Zeug*innenaussage, darüber außer sich vor Wut gezeigt und geäußert haben, Lübcke müsse erhängt werden. Seit dem gemeinsamen Besuch der Bürger*innenversammlung in Lohfelden sei ihm auch die Empörung von Ernst gegenüber Lübcke bewusst gewesen. Beide seien sich einig gewesen, dass man „etwas machen“ und sich bewaffnen müsse. Hartmann war hierbei die treibende Kraft, so die BAW. Gemeinsamen Aktivitäten der beiden wie Besuche auf Demonstrationen „des rechten Spektrums“ käme eine „tatfördernde Funktion“ zu. Hartmann habe zudem durch gemeinsame Schießübungen den zuvor an Waffen ungeschulten Ernst an Waffen herangeführt. Vereint im gemeinsamen rassistischen Gedankengut hätten sich beide zum Schießen verabredet. Dort hätten sie auf Zielscheiben mit dem Bild von Angela Merkel geschossen und ihre „Sorge vor einer Umvolkung“ geäußert. In diesem Kontext lag der bevorstehende Mord an Lübcke in der Luft und muss für Hartmann erkennbar gewesen sein, so die BAW. Spätestens seit dem Erwerb einer Langwaffe durch Ernst, deren Zweck nicht in der Schutzbewaffnung läge, sondern dazu diene, Menschen aus großer Distanz zu erschießen, habe es Hartmann Ende 2018 für möglich gehalten, dass Ernst einen Repräsentanten des Staates töten wollte und habe dies billigend in Kauf genommen. Hierfür spreche auch, dass Hartmann wie Ernst nach der Tat den gemeinsamen Chatverkehr bei einem Messengerdienst gelöscht habe, um seine Verbindung zu Ernst zu vertuschen und somit Ernst in Verbindung mit dem Mord zu bringen.

Aus diesen Gründen beantragte die BAW, Markus Hartmann wegen der psychischen Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke zu verurteilen.

Darüber hinaus forderte sie, Hartmann wegen des Besitzes einer nicht gänzlich unbrauchbar gemachten Maschinenpistole wegen unerlaubtem Waffenbesitz zu verurteilen. Bei einer Hausdurchsuchung bei Markus Hartmann sei eine Maschinenpistole gefunden worden, die zu einer Dekorationswaffe umgebaut worden war. Deren Griffstück sei jedoch weiterhin funktionstüchtig gewesen. Dies müsse Hartmann bewusst gewesen sein, da er viel Erfahrung mit dem Umbau von Dekowaffen habe, so die BAW. Daher müsse der Erwerb und Besitz des funktionstüchtigen Griffstück vorsätzlich geschehen sein. Die rechtsextreme Gesinnung von Hartmann dürfe dabei nicht außen vor gelassen werden, sondern stehe im direkten Zusammenhang mit dem Tatvorwurf, so die BAW.

Für beide Anklagepunkte plädierte die BAW auf eine Haftstrafe von neun Jahren und acht Monaten für Markus Hartmann.

Damit beendete die BAW ihr Plädoyer, und auch der Verhandlungstag war beendet.

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