13. Prozesstag, 27.08.2020

0

Im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum rassistischen Anschlag auf Ahmed I. wurde am 27. August 2020 Daniel Muth, der Leiter der Soko „Liemecke“, die nach dem Mord an Lübcke eingerichtet wurde, zu den Ermittlungen vor und nach der Festnahme von Stephan Ernst befragt. Obwohl ein politisches Motiv für den Mord an Walter Lübcke nicht ausgeschlossen wurde, wurden die Ermittlungen hierzu erst verstärkt, nachdem Umfeld und Familie als Täter*innen nicht mehr in Frage kamen. Zu den Ermittlungen zum rechten Motiv nannte Muth auch die Veranstaltung in Lohfelden, deren Besucher*innen ermittelt werden sollten. Auch die lokale rechte Szene sollte in den Blick genommen werden. Darüber hinaus machte er keine Angaben, auch nicht zu den erneuten Morddrohungen gegen Lübcke 2019. Am 14. Juni 2019 habe er den Anruf bekommen, dass eine Hautschuppe von Ernst auf dem Hemd von Lübcke gefunden worden sei, woraufhin dieser festgenommen wurde. Der Zeuge berichtete außerdem zur Vernehmung von Ernst und zu weiteren Ermittlungsergebnissen.

Nach einigen vom Vorsitzenden Richter Sagebiel zu Beginn verkündeten Formalien wurde der einzige Zeuge des Tages in den Gerichtssaal gerufen. Daniel Muth vom LKA Hessen, Leiter der Soko „Liemecke“. Der Vorsitzende Richter Sagebiel forderte den Zeugen auf, erst einmal von der Soko zu berichten. Muth sagte, dass er am 4. Juni 2019 mit der Leitung der Soko aus dem Innenministerium betraut worden sei, zuvor habe er schon aus den Medien und polizeiintern vom Mord an Walter Lübcke erfahren. Er sei dann zum Tatort gefahren und habe sich dort auf den Stand bringen lassen. Dort sei für ihn neu gewesen, dass die Schussverletzung Lübckes nicht direkt auf der Terrasse entdeckt worden sei, sondern die Polizei erst gegen 4:00 Uhr nachts informiert worden sei. Erst bei der Leichenschau durch den Kriminaldauerdienst sei die Schussverletzung dann identifiziert worden. Dann sei der „große Apparat“ in Gang gesetzt worden. Damit habe man am Haus der Lübckes auch keinen polizeilichen Tatort mehr vorgefunden, sondern einen „Ereignisort“. Auf diesem waren im Zuge der Rettungsmaßnahmen Möbel verschoben worden und er war dann gereinigt worden. Der Fokus der Polizeiarbeit habe dann auf Spurensuche und -sicherung gelegen.

Die Ermittlungsarbeit habe sich um verschiedene Hypothesen gedreht, die man nach und nach habe ausschließen wollen, berichtete Muth weiter. Er zählte auf: Suizid, vertuschter Suizid, ein Unfall und Fremdeinwirkung. Da ein Suizid schnell durch fehlende Schmauchspuren ausgeschlossen worden sei, wurden auch Hypothesen gebildet, warum und wer Walter Lübcke umgebracht haben könnte. Der gereinigte Tatort sei zunächst nicht zu erklären gewesen, außerdem habe man zunächst nicht ausgeschlossen, dass die Familie Lübckes für den Mord verantwortlich sein könnte. So sei der Ersthelfer A. in den Fokus gerückt und festgenommen worden. Er habe dann allerdings sein Verhalten schlüssig erklären können. [Medienberichten ist zu entnehmen, dass er den Tatort reinigte, um der Familie Walter Lübckes den Anblick der Rettungsmaßnahmen zu ersparen. Das geschah zu einem Zeitpunkt, an dem man von einer natürlichen Todesursache ausging]. Auch die Familie habe bald nicht mehr als verdächtig gegolten. Am 9. Juni sei in der Soko eine „gewisse Ernüchterung“ eingetreten, er habe als Leiter eine „große Ansprache“ gehalten, dass es gut sei, Hypothesen auszuschließen. Für ihn sei dann klar gewesen, eine politische Motivation für den Mord habe eine höhere Wahrscheinlichkeit. Muth zählte auf, ein islamistisches Motiv sei zu vernachlässigen gewesen, ein politisch „linkes“ Motiv hätten Winkraftgegner*innen gehabt und an ein rechtes Motiv habe man wegen der Veranstaltung in Lohfelden gedacht.

Am 14. Juni 2019 hatte er, Muth, eigentlich beabsichtigt, einen Teil der Kräfte in Ruhe zu versetzen. Um 13:30 habe er allerdings einen Anruf bekommen: Auf dem karierten Hemd von Walter Lübcke hatte es einen DNA-Personentreffer gegeben, der auf Stephan Ernst passte. Es handelte sich dabei um eine einzelne Hautschuppe. Darüber hatte er im kleinen Kreis diskutiert, denn Einzelne seien der Meinung gewesen, es könne sich um eine Sekundär- oder Tertiärübertragung handeln. Der Fakt, dass Stephan Ernst für „politisch motivierte Gewalt, rechts“ polizeibekannt sei, hatte die Hypothese stärker gemacht. Man habe dann die Möglichkeit einer Sekundär- oder Tertiärübertragung geprüft und diese ausschließen können. Muth habe beschlossen, Ernst schnell festnehmen zu lassen.

Sagebiel fragte, wie es zu Stephan Ernsts erster Vernehmung ohne Rechtsbeistand gekommen sei. Muth gab an, bei seiner Festnahme sei Ernst „verschlossen“ gewesen, er hätte die Gelegenheit gehabt, sich einen Verteidiger zu nehmen. In den Akten von Ernst hätten sie festgestellt, dass er in anderen Verfahren irgendwann gestanden hätte, daher hätte er, Muth, in Abstimmung mit dem GBA, Beamte beauftragt, in die JVA zu fahren, um Ernst ein Gespräch anzubieten, dies hatte dieser abgelehnt. Am 25. Juni habe dann die JVA angerufen, und gesagt, Ernst wünsche sich ein Gespräch. Ernst habe verneint, einen Anwalt bei dieser Vernehmung dabei haben zu wollen.

Im Folgenden machte Muth Angaben über die Tatortarbeit, die Auswertung der Telekommunikation und der Asservate der Hausdurchsuchung, sowie das Waffenversteck. So berichtete Muth von Hubschrauberüberflügen über das Wohnhaus der Familie Lübcke, um Bilder des Geländes anzufertigen und von 3D-Rekonstruktionen, von denen im Anschluss einige in Augenschein genommen wurden. Muth gab an, bei Ernst sei festgestellt worden, dass er über 200 Nachrichten im Threema-Chat mit Hartmann aktiv am 3. Juni 2019 gelöscht hatte. Danach hätten sich er und Hartmann noch einmal geschrieben, es sei um eine Verabredung auf ein Bier gegangen. Eine datumsgebundene Löschung habe man auf Hartmanns Handy nicht feststellen können, aber auch bei ihm seien in ähnlichem Umfang Chatnachrichten mit Ernst gelöscht worden. Man hatte auch Bilder von der Dashcam gefunden, darauf seien Aufnahmen des Hauses der Lübckes gewesen, die Dashcam selbst sei nicht gefunden worden.

In Bezug auf das Waffenversteck gab Muth an, die Waffen seien sehr gut und „professionell“ verpackt gewesen, man hätte noch Jahre später damit schießen können. Die beisitzende Richterin Adlhoch fragte nach den Schießkladden in den Schützenvereinen, in denen Ernst und Hartmann geschossen haben. Muth bestätigte, dass sich beide in die Kladden der Schützenvereine Sandershausen und Grebenstein eingetragen hätten, Ernst zum Teil unter Aliasnamen. Es sei aber bis heute unklar, ob diese Schießkladden vollständig seien. Aldhoch fügte hinzu, es hätten sich abweichende Termine ergeben, die nicht in den Kladden vermerkt seien. Daran anschließend wandte sich die Vernehmung den möglicherweise in der Tatnacht ausgewechselnden Nummernschildern an Ernsts Auto zu. Ernst hatte aber der zweiten Vernehmung angebeben, falsche Nummernschilder auf seine eigenen aufgeschraubt zu haben. Auf den in Augenschein genommenen Bildern sind tatsächlich Bohrlöcher in seinem Nummerschild zu sehen.

Muth berichtete, dass bei Ernst und Hartmann viel Material habe gesammelt werden können, aus dem eine rechte Gesinnung deutlich werde. Bei Hartmann wurde das Buch von Akif Pirinçci gefunden, in dem der Name Lübckes markiert wurde, dies wurde vor Gericht in Augenschein genommen. Bei den Finanzermittlungen zu Ernst habe sich herausgestellt, dass dieser sie seit 2015 mit rechten Betreffs versehen habe: „BRD Zwangsabgabe“, „Lügenpresse“, „Volksverräterbehörde“, „BRD Hurensöhne“, „An die Wand mit euch“. Er habe außerdem an die Identitäre Bewegung gespendet. Bei Hartmann habe man außerdem Waffen, Waffenteile, Hitlerbüsten, zum Teil mit Hakenkreuzen, gefunden. Muth sprach dann von den Schießtrainings und Waffenlagern im Wald, von denen Ernst berichtet habe und sagt, sie seien immer noch sehr interessiert daran, dass Ernst ihnen diese zeige. Er ließ offen, ob die Polizei bereits vor Ort gesucht hat. Muth sagte auf Frage, der Name Hartmann sei erst durch die Einlassung von Ernst am 25. Juni 2019 in den Fokus geraten, daraufhin habe man ihn festgenommen.

Der Vertreter des GBA, OStA Killmer, fragte danach, ob Hartmanns Handy am Tatort in eine Funkzelle eingeloggt gewesen sei. Muth erklärte, das Handy sei an dem Abend in keine Funkzelle eingeloggt gewesen, es sei wohl im Flugmodus mit WLAN benutzt worden, denn um 22:36 Uhr sei eine Whatsapp-Nachricht an eine „Karibikschlumpfine“ verschickt worden. Es habe nicht festgestellt werden können, welches WLAN benutzt worden sei, aber in Istha gebe es kein offenes WLAN, daher habe man das ausgeschlossen, dass das Handy dort gewesen sei. Später sagte Muth auf Frage der Verteidigung Hartmann zu diesem Thema, man habe die Fritzbox von Hartmann nicht diesbezüglich auswerten können, da sie diese bei der Durchsuchung nicht mitgenommen hätten, später sei sie nicht mehr da gewesen, da der Haushalt aufgelöst worden sei.

Es ging im Anschluss anhand von Bildern erneut um den möglichen Weg von Hartmann am Tatort. Muth gab an, man habe keine entsprechenden Spuren am Tatort gefunden. Als es um die erste Vernehmung von Ernst ging, stellte sein Anwalt, Kaplan, in Aussicht, dass Ernst Angaben zum genauen Ort der Schießtrainings machen werde. Auf Fragen der Verteidigung von Hartmann sagte Muth, man habe die Besucher*innen der Veranstaltung in Lohfelden feststellen wollen und habe auch schauen wollen, welche Neonazis lokal aktiv seien.

Als der Zeuge entlassen war, gab RA Clemens eine Erklärung zu dessen Aussage ab. Er sagte, die Aussage habe ergeben, dass Hartmann nicht am Tatort gewesen sei, außerdem zog er das politische Motiv für die Tat insgesamt in Zweifel. Der Vorsitzende Richter Sagebiel sagte, Clemens dürfe sein Plädoyer nicht vorweg nehmen und entzog ihm schließlich das Wort. Clemens kündigte einen Befangenheitsantrag an. Der Prozesstag endete um 16:30 Uhr.

Share.

About Author

Comments are closed.