4. Prozesstag 02.07.2020

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Am vierten Prozesstag wurde die Videoaufzeichung der dritten Vernehmung von Stephan Ernst durch den Ermittlungsrichter und das hessische LKA in Augenschein genommen. Zu Beginn wurden kurz die Entscheidungen über die Anträge der Verteidungen mitgeteilt sowie die Inhalte der kommenden Prozesstage festgelegt.

Als Vertreter für die Nebenklage der Familie Lübcke war an diesem Prozesstag RA Klingel anwesend. Richter Sagebiel teilte zu Beginn der Sitzung die Ablehnung aller Anträge der Angeklagten mit und begründete dies. Anschließend gab er noch die weitere Planung für die Beweisaufnahme bekannt und kündigte an, dass für den Prozesstag noch eine Szene aus dem zweiten Vernehmungsvideo gezeigt wird sowie das Video der dritten Befragung von Stefan Ernst.
RA Clemens legte einen Verwertungswiderspruch gegen das Videobeweismittel des zweiten Geständnisses ein. Der Ermittlungsrichter habe darin zu Ernst gesagt, dass Hartmann sich bei seinem Verhör darüber gewundert habe, dass er nur wegen Beihilfe, nicht aber wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt sei. Das fände sich so nicht im Protokoll von Hartmanns Vernehmung wieder, daher bestünde der Verdacht, dass der Richter Hartmann in den Fokus habe bringen wollen.
Richter Sagebiel lehnte den Antrag ab und die beiden Videos wurden abgespielt. Die kurze Videosequenz der Vernehmung vom 26.06.2019 wurde nachgereicht, da die zweite Kameraperspektive fehlte. Anschließend wurde das Video der dritten Vernehmung von Stephan Ernst für den Rest des Prozesstages mit kurzen Pausen gezeigt.
Stephan Ernst wird bei der Vernehmung von seinem Anwalt Frank Hannig sowie dessen Frau begleitet. Sie sitzen vor Stellwänden, an denen verschiedene Bilder mit Luftaufnahmen des Hauses der Familie Lübcke hängen, anhand derer Ernst von den Beamten zum genauen Tatablauf befragt wird. So werden seine Laufwege nachvollzogen und aufgezeichnet und er gibt an, von welchen Seiten aus Hartmann und er sich der Terrasse genähert hatten.
Stephan Ernst belastet Markus Hartmann in der Vernehmung schwer und gibt an, sie hätten beide zusammen den Entschluss gefasst, Walther Lübcke etwas antun zu wollen, als sie sich auf dem Rückweg von der AfD-Demonstration in Chemnitz befunden hatten. Dabei habe Hartmann den Zeitpunkt der Kirmes ausgewählt. Sie seien daher auch gemeinsam mehrmals beim Haus der Lübckes gewesen und hätten sich die Umgebung angeschaut, wobei Hartmann die Vorteile des Hauses für einen Übergriff hervorgehoben habe.
Die Beamten befragen Ernst zur Tötungsabsicht, da ihnen verschiedene Aspekte unschlüssig erscheinen. So gibt Ernst an, sie wollten Lübcke entweder schlagen oder treten oder Sachschaden an seinem Haus verursachen. Allerdings hatten beide weder Handschuhe noch Maskierung auf oder dabei, weshalb die Beamten schlussfolgern, dass das Opfer nicht mehr in der Lage sein sollte, die Täter zu erkennen. Außerdem ließen beide ihre Handys zuhause, was die Ermittler als Gespür für Repression und polizeilicher Verfolgung deuten. Frank Hannig gibt an, dass sein Mandant dieses Wissen und diese Fähigkeiten durch seine Anti-Antifa-Arbeit erworben hatte. Ernst ergänzt, sie haben Lübcke so stark schlagen wollen, dass er sich nicht mehr an die Täter erinnern könne. Daher hatten sie keine Handys dabei sowie gestohlene Kennzeichen an das Fahrzeug montiert.
Eine weitere offene Frage, die die Ermittler ansprechen, sind Zeug*innenaussagen, die zwei Autos am Tatort sowie an Ernsts Wohnort gesehen haben wollen – darunter auch Ernsts Frau, die Reifenquietschen gehört haben will. Ernst hat dafür keine plausible Erklärung.
Zudem wird Ernst zu seinen Arbeitskollegen, denen er Waffen verkauft hatte, befragt. Er sei ein großes Risiko eingegangen, als er Herrn L. gebeten hatte, beim Vergraben der Waffen Schmiere zu stehen. Zum Verhältnis der beiden will Ernst sich nicht weiter einlassen.
Auf die Frage zu weiteren Kontakten in der rechten Szene erzählt Ernst, dass er und Hartmann mit Alexander S. engeren Kontakt hätten. So seien sie gemeinsam auf einer AfD-Demonstration am 01. Mai in Erfurt gewesen – das Jahr fragten die Beamten nicht ab- und haben regelmäßig über den Messenger Threema kommuniziert. Ernst gibt an, S. sei ein Freund von Hartmann gewesen. Er selbst habe mit S. ein ‚kameradschaftliches‘ Verhältnis gepflegt. Nach 2009, so behauptet Ernst, habe er nur noch wenig Kontakt zur Kameradschaftsszene gehabt. Auf die Frage der Beamten bezüglich seiner Kontakte zu Mike S., Bernd Tödter und Stanley Röske. erzählt Ernst, er habe Mike S. nach 2010 ab und zu getroffen, einmal in Hannover und einmal auf dem Flohmarkt. Bei Stanley Röske sei er staunt gewesen, als er hörte, dass er Mitglied von Combat 18 sei. Und Bernd Tödter habe er nur einmal kennen gelernt, als Tödter ihn in seinem Auto zu einer Demonstration mitgenommen habe. Weiterhin gibt Ernst an, mit Hartmann zusammen an AfD-Stammtischen teilgenommen und Geldspenden an die ‚Identitäre Bewegung‘ und die AfD getätigt zu haben.
Im Gegensatz zur ersten Vernehmung machen Ernsts Antworten deutlich, dass er in der Kasseler Neonaziszene fest verwurzelt war. Er benutzt szenetypische Begriffe und stellt die politische Ausrichtung seines Handelns in den Vordergrund.
Der Verhandlungstag endete mit dem Zeigen des Vernehmungsvideos, das jedoch noch nicht in Gänze gezeigt wurde. Die restliche Stunde des Videos wird am 5. Prozesstag fortgesetzt.

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