Die 33. öffentliche Sitzung des hessischen Untersuchungsausschusses zur NSU-Mordserie am 20.01.2017 beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit den Abläufen rund um das Vorermittlungsverfahren und der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens gegen Andreas Temme. Geladen waren zwei MitarbeiterInnen vom Landesamt für Verfassungsschutz und eine Mitarbeiterin des Innenministeriums.
Als erste Zeugin trat Katharina S. vom Landesamt für Verfassungsschutz Hessen (LfV) auf. Sie war seit Ende 2005 Mitarbeiterin des LfV und wurde vom 12.07-24.07.2006 mit den dienstrechtlichen Vorermittlungen gegen Andreas Temme betraut. Ihrer Einschätzung nach, weil sie die einzige Juristin war, die nach Kriterien des LfV geeignet war, diese zu führen. Ihr direkter Vorgesetzter war damals der Geheimschutzbeauftragte Hess. Dabei hat sie laut eigener Angabe acht Verfehlungen von Temme in den Akten vermerkt. Zu den Verfehlungen zählten unter anderem der Besuch des Internetcafés von Familie Yozgat, da es sich in der Nähe einer überwachten Moschee und der LfV Außenstelle befand. Weiter hatte sich Temme nach der Tat weder bei der Polizei noch beim LfV gemeldet, er führte Waffen mit in die LfV-Außenstelle und bei der Durchsuchung seines Elternhauses wurden Drogen und NS-Abschriften gefunden. Diese Informationen stammten laut Zeugin aus der dienstlichen Erklärung Temmes. Die Amtsleitung des LfV habe keinen Einfluss auf das Verfahren genommen. Trotz der Vollständigkeitserklärung der Landesregierung am Abend zu vor, der NSU-UA hätte die angeforderten Akten vollständig geliefert bekommen, bemerkten die Ausschussmitglieder, dass dieser Vermerk von S. mit der Aufzählung der Vergehen fehlt.
Das Vorermittlungsverfahren wurde abgebrochen, nachdem Temme auf Drängen seines Vorgesetzten Hoffmann gegen sich ein förmliches Disziplinarverfahren einleitete. Obwohl sie mit dem Vorermittlungen betraut war, hatte die Zeugin nach Beginn des förmlichen Disziplinarverfahrens nichts mehr mit dem Themenkomplex Temme zu tun. Auch bei den Vorermittlungen habe sich S. vom LfV „eher alleingelassen gefühlt“, gab sie während ihrer Aussage zu Protokoll. Sie habe zum ersten Mal ein solches Verfahren geführt und sich erst mit Fachliteratur einlesen müssen. Es sei für sie schon ein „Riesending“ gewesen, mit dem sie sich eher alleingelassen gefühlt habe. Außerdem gab sie als persönliche Einschätzung an, es „unsäglich“ zu finden, dass Temme „ungeschoren“ davongekommen ist und somit das Vertrauen in das LfV „erschüttert“ sei.
Als zweite Zeugin trat Jutta D. auf. Die stellvertretene Referatsleiterin im Besoldungsreferat des Innenministeriums hatte vom 21.7 bis 24.7.2006 ihren Vorgesetzten in der Thematik vertreten, da dieser abwesend war. Sie war vom Innenministierum damit beauftragt sicherzustellen, dass das LfV ein juristisches korrektes förmliches Disziplinarverfahren gegen Temme einleitet und sollte diesen Prozess überwachen. Sie gab an, dass die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens trotzdem ohne Rücksprache und ohne letzte Kontrolle durch das Innenministerium erfolgte. Während sie am 21.7 an einem Treffen mit dem LfV teilnahm, drängte Hoffmann Temme am Telefon dazu ein förmliches Disziplinarverfahren gegen sich selber einzuleiten, damit er – in Rücksprache mit dem Innenminister – seine Bezüge weiter behalten könnte. D. gab an, von dem Telefonat nichts mitbekommen zu haben. Sie sagte, sie habe den Untersuchungsleiter des Disziplinarverfahrens vorgeschlagen, ein ehemaliger Kollege von ihr (V., Regierungspräsidium Darmstadt). Nach der Suspendierung Temmes blieben dem LfV 3 Monate zu reagieren, bis die Suspendierung auslief. Die Suspendierung konnte nur durch die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens verlängert werden. Die Abgeordneten waren uneinig, ob es eine Auswirkung auf die weitere Besoldung Temmes gehabt hätte, wenn das Verfahren nicht von ihm sondern vom Ministerium eingeleitet worden wäre.
Der dritte und letzte Zeuge an diesem Tag war der bis zu seiner Pensionierung 2011 im LfV für den Geheimschutz zuständige Friedrich W.. Der Zeuge führte 1993/1994 die Sicherheitsüberprüfungen bei der Einstellung Temmes im LfV durch und war bis zu seiner Pensionierung gemeinsam mit seinem Vorgesetzten Hess für die routinemäßigen Sicherheitsüberprüfungen bei Neuanstellungen und in Zehnjahresabständen bei den MitarbeiterInnen des LfV zuständig. Bei der Einstellung sei ihm nur Temmes Mitgliedschaft in einem Motorradclub aufgefallen, er habe da nachgefragt und nichts auffälliges gefunden. Im Ausschuss kam heraus, dass die nächste Überprüfung Temmes nach 1994 erst für 2007 vorgesehen war. Man habe „etwas hinterher gehangen“, erklärte Friedrich W. diesen Umstand.
Temme war W. wohl eher sympathisch, er sei ein „akribisch arbeitender Mitarbeiter“ gewesen, sagte er. Am 5. Juni 2006 war W. bei Temme, um mit ihm über Vorwürfe zu reden, um für das LfV eine eigene Einschätzung zu haben, seine Stellungnahme zu hören. Zu den abgetippten Nazi-Schriften, die bei Temme gefunden wurden, habe dieser gesagt, er habe sich diese in einer Jugendphase in einer Stadtbibliothek ausgeliehen und damals abgeschrieben. Er sei von den gefälschten Hitler-Tagebüchern beeindruckt gewesen und habe die Texte für ein Schul-Referat verwendet und sie dann vergessen.
Die Befragung von W. drehte sich um die Einstellung Temmes, den Ablauf von Sicherheitsüberprüfungen im Allgemeinen und sein Verhalten gegenüber Temme nach dessen Suspendierung, da im Juli 2006 aufgezeichnete Telefongespräche von W., Hess und Temme nahelegen, dass das LfV Temme trotz laufender Ermittlungen gegen ihn diesem eine baldige Rückkehr ins LfV in Aussicht stellte. Am 6. Juni 2006 sagte W. Temme am Telefon, man würde ihm gerne wieder seine Sicherheitsermächtigung erteilen. Der Zeuge sagte, das müsse wohl mit Hess abgesprochen gewesen sein. LfV-Präsident Irrgang war laut Vorhalten der Abgeordneten damals wohl dagegen.