Bericht zur 30. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag (11.11.2016)

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Die 30. öffentliche Sitzung des hessischen Untersuchungsausschusses zur NSU-Mordserie beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit den bundesweiten Ermittlungen und daraus resultierenden Bezügen zu Hessen, speziell der BAO Bosporus.

Als erster Zeuge war Wolfgang Geier geladen, Kriminaldirektor im Ruhestand und ehemaliger Leiter der BAO Bosporus. Beim Mordfall an Halit Yozgat hätten auch Beamte der BAO Bosporus die Ermittlungen unterstützt. Aufgrund des achten und neunten Mordfalls habe man diskutiert, ob nicht das BKA die Ermittlungsführung übertragen bekommen sollte, hierzu gab es aber zwischen den Bundesländern unterschiedliche Ansichten: Laut Geier habe sich insbesondere Hamburg gegen eine bundesweite Ermittlungsführung ausgesprochen. Auch Hessen habe sich für einen Verbleib in der Hand der Bundesländer ausgesprochen. Er betonte aber auch, dass das BKA eine Mordserie mit rechtem Hintergrund nicht für wahrscheinlich gehalten habe. Deshalb glaubt er auch rückblickend nicht, dass eine bundesweite Ermittlungsführung die NSU-Mordserie unterbunden hätte. Erstaunlich ist aber, dass im Ausschuss herauskam, dass es nie eine offizielle Anfrage an das BKA zur Übernahme der Ermittlungen nach § 4 BKA-Gesetz gegeben hat. Hierüber zeigte sich Geier erstaunt, da er fest von einer offiziellen Anfrage ausging.

In der BAO Bosporus kam es bereits Ende 2005 zu der Diskussion, ob nicht die These aufgegeben werden sollte, dass die Mordserie mit der Organisierten Kriminalität zusammenhänge. Die sog. Serientäterthese wurde erörtert: Sie ging davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter mit Wut und Abneigung gegen türkische Männer handeln müsste, möglicherweise mit Bezug zur rechten Szene. Diese These wurde auch von einer Operativen Fallanalyse durch den Profiler Alexander Horn gestützt. In der Analyse habe bereits gestanden „Taten statt Worte.“ Obwohl man mit dieser These dem NSU sehr nahe gewesen sei, habe man bzgl. der geographischen Lage einen Fehler begangen: Man ging davon aus, dass der Täter aus dem Umkreis von Nürnberg stammen müsste. Deswegen erfolgte eine Abfrage in Nürnberg über den Verfassungsschutz. Die Kommunikation gestaltete sich laut Geier schwierig, da das LfV Bayern es verweigerte, eine Gesamtliste aller Neonazis in Bayern zu erstellen. Man erhielt am 2. März 2007 eine Liste mit 682 Personen aus der rechtsextremistischen Szene in Nürnberg, jedoch waren diese Personen bei den Taten nicht zugegen.

Geier wurde auch die 3. Operative Fallanalyse des LKA Baden-Württemberg vorgehalten, in der die rassistische Annahme dargelegt wurde, die Täter könnten nicht aus dem deutschen Kulturkreis stammen, da Mord hier unter einem „kulturellen Tabu“ stehe. Hierauf sagte Geier, die 3. OFA sei erstellt worden, weil Hamburg und das BKA gegen die Serientätertheorie gewesen seien. Die OFA habe für Unmut bei den Ermittlungen gesorgt, da sie nur das bestätigt habe, was man die Jahre zuvor gemacht habe und man mit dieser These nicht weitergekommen sei. Baden-Württemberg wurde eingeschaltet als unabhängiges Land in dem es bis dahin keinen Mordfall gab.

Geier betonte man habe eine offensive Medienstrategie verfolgt, z.B. über Aktenzeichen XY. Auf die Nachfrage, warum er bei dieser Gelegenheit nicht einen möglichen rechten Hintergrund der Taten erwähnte, sagte er gegenüber dem Ausschuss, man habe keine Panik verbreiten und zudem nur klare Fakten in der Kürze der Zeit präsentieren wollen.

Zur Frage wie mit der Familie von Halit Yozgat umgegangen sei, sagte Geier erstaunlicherweise, es habe keine Ermittlungen gegen die Familie gegeben. Zu den Ermittlungen gegen Andreas Temme sagte Geier im Ausschuss, bei der Beweislage hätte man Temme in Bayern eingesperrt, respektive in Untersuchungshaft genommen.

Als zweiter Zeuge war Dr. Günter Beckstein, ehemaliger Innenminister und späterer Ministerpräsident in Bayern, geladen.

Beckstein berichtete, dass ihn die Mordserie sehr beschäftigt habe, da alle Morde in seiner Amtszeit und ein Teil davon in Bayern passierten. Es sei die schlimmste Niederlage des Rechtsstaates gewesen, die Mordserie nicht zu unterbinden. Er habe mehrfach mit dem hessischen Ministerpräsidenten Bouffier telefoniert, um sich über den Fall in Hessen und die Ermittlungen gegen den Verfassungsschützer Andreas Temme zu informieren. Nachdem klar gewesen sei, dass Temme Alibis an den anderen Tattagen vorweisen konnte, habe Beckstein nicht mehr weiter auf die Vernehmung der V-Leute von ihm gedrängt.

Beckstein habe sich fast wöchentlich mit dem Polizeipräsidenten aus Nürnberg getroffen, um auf den neusten Stand der Ermittlungen gebracht zu werden. Seinem Gefühl nach habe es Unterstützer in Nürnberg geben müssen. Bei dem Mord an Abdurrahim Özüdogru hätten die Täter Ortskenntnis gebraucht, um sich in der Nürnberger Altstadt zurecht zu finden.

In Richtung Rechtsextremismus sei intensiv ermittelt worden, das LfV sei aufgefordert worden, alle V-Leute 2003/2004 hierzu zu befragen, so Beckstein. Diese hätten alle von nichts gewusst. Jedoch sei die Zusammenarbeit mit dem Landesamt schwierig gewesen.

In der BAO Bosporus hätten zeitweise bis zu 150 Mitarbeiter gearbeitet, eine eigene Software sei zur Aufklärung der Mordserie entwickelt worden. Als Verbesserungsvorschlag nannte Beckstein die Vorratsdatenspeicherung und kritisierte die niedrige Bezahlung der V-Leute in Bayern.

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