Bericht zur 28. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag (30. September 2016)

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In der 28. öffentlichen Sitzung des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses am 30. September 2016 waren drei (ehem.) Kriminalbeamte des Landespolizeipräsidiums und des Regierungspräsidiums Darmstadt geladen, die 2006 an Ermittlungen gegen Andreas Temme beteiligt waren.

Auch zehn Jahre nach den Ermittlungen noch deutlich verärgert machte Karlheinz Schaffer in seiner Eingangserklärung seiner Empörung Luft, das Landespolizeipräsidium Hessen habe sich 2006 während der Ermittlungen zum Mord an Halit Yozgat vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz massiv behindert gefühlt. Das Landespolizeipräsidium habe damals noch in dem Bewusstsein ermittelt, unter Umständen einen zehnten, elften oder zwölften Mord der Serie verhindern zu müssen und Schaffer sei sich sicher, dass die Ermittlungen schneller zu einem Ergebnis gekommen wären, hätten die Quellen Temmes damals vernommen werden dürfen. Die Sicherheitsbedenken des Innenministeriums habe er „maßlos übertrieben gefunden“, vielmehr hätten auch die Mordkommissionen der anderen Bundesländer Sorge gehabt, die Ermittlungen könnten durch die Blockade des hessischen Verfassungsschutzes ins Stocken geraten. Den Einwand, Temmes Quellen hätten durch eine polizeiliche Ermittlung auffliegen können, weil ihre Namen anschließend in den Ermittlungsakten auftauchten, wies Schaffer entschieden zurück. Es gebe langjährig erprobte und übliche Verfahren, V-Leute von dafür geschultem Personal polizeilich zu vernehmen, ohne dass ihre Namen Eingang in die Akten fänden. Das LfV habe vorgeschlagen, selbst die Quellen zu vernehmen, während die Polizei incognito anwesend wäre. Das habe er abgelehnt, weil dieses Vorgehen rechtswidrig sei, sagte Schaffer.
Laut Schaffer hätte die Staatsanwaltschaft sogar gegen den Willen des LfVH Temmes V-Leute zum Verhör einbestellen können. Das hätte jedoch eine Eskalation des Konflikts zwischen Landesamt und Landespolizeipräsidium bedeutet, die der Polizeipräsident Nedela habe verhindern wollen. Auch bezüglich seiner Mitarbeiter ließ Schaffer kein gutes Haar am hessischen Verfassungsschutz, den er während seiner Aussage auch als „Gurkentruppe“ bezeichnete. Zur Einschätzung Temmes zitierte er den damaligen Leiter des Polizeipsychologischen Dienstes Stefan S., der für die Operative Fallanalyse des LKA Bayern eine Einschätzung Temmes vorgenommen hatte und diesen für unfähig hielt, eine komplexe Tatgeschichte zu erfinden und schlüssig vorzutragen. „Da weiß ich nicht, wer hier wen geführt hat“ lautete Schaffers Schlussfolgerung. Nach seiner Einschätzung zum ehemaligen Präsidenten des Landesamtes Lutz Irrgang sagte Schaffer aus, er habe mit ihm selbst nie gesprochen, zitierte aber eine Aussage seines Vorgesetzten Nedela, Irrgangs Haltung sei gewesen: „Der Verfassungsschutz hat zwei Feinde: Die Polizei und die Medien. In der Reihenfolge.“
Ein großer Teil der Befragung drehte sich um einen Aktenvermerk Schaffers vom 6.7.2006, anhand dessen der Ausschuss versuchte nachzuvollziehen, wie die Entscheidung zustande gekommen war, den Mordverdacht gegen einen VS-Mitarbeiter zunächst sowohl vor der Öffentlichkeit als auch vor dem parlamentarischen Kontrollgremium zu verheimlichen. Laut Schaffer muss das im Innenministerium entschieden worden sein. Diese Aussage sorgte für Empörung, weil der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier, sich damals seinerseits empört hatte, von Einzelheiten eines solchen Verdachts aus der Zeitung zu erfahren. Derselbe zitierte Aktenvermerk legte nahe, dass letztlich den Ausschlag dafür, Temme nicht wieder im Landesamt einzustellen, ein Anruf eines BILD-Redakteurs aus Dortmund gegeben hatte.

Der zweite Zeuge Bernd C. war 2006 Büroleiter des Landespolizeipräsidenten Nedela und nach seiner Aussage vor allem mit der Weiterleitung von Informationen beauftragt. An den Ermittlungen sei er nicht beteiligt gewesen. Ansprechpartner für die MK Café sei der zuvor gehörte Karlheinz Schaffer gewesen, er selbst habe hauptsächlich den Postlauf organisiert. Auch in seiner Befragung ist nochmals Thema, weshalb der Landtag und die Innenministerkonferenz erst durch die Medien von den Ermittlungen gegen Temme erfuhren. In solche Entscheidungsprozesse sei er jedoch nicht eingebunden gewesen, so C.
Sein ehem. Vorgesetzter Norbert Nedela soll ebenfalls als Zeuge befragt werden, so die Ausschussmitglieder. Die Ladung gestalte sich derzeit aber schwierig, da Nedela sich auf einer Weltreise befinde.

Zuletzt wurde Wolfgang V. befragt, der 2006 als Untersuchungsführer im Disziplinarverfahren gegen Temme eingesetzt war. Nachdem seine Aussage, er habe Temme nie getroffen, ihn nur einmal im Fernsehen gesehen und er sei auch in dem Disziplinarverfahren nie aktiv geworden, zunächst für Verwirrung sorgte, erklärte er, schon von Rechtswegen sei ein Disziplinarverfahren solange ausgesetzt, wie gegen die Person ein Strafverfahren laufe. Deshalb habe er zunächst dessen Ergebnis abgewartet. Wäre Temme wegen Mordes verurteilt worden, sei er ohnehin sofort aus dem Beamtenstand entlassen worden. Mit der Einstellung des Strafverfahrens sei jedoch auch das Vergehen für ein Disziplinarverfahren hinfällig geworden. Deshalb habe er eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit gesehen, dass es überhaupt zu einem förmlichen Disziplinarverfahren mit Untersuchungsmaßnahmen komme. Temmes andere Verstöße gegen verschiedene Dienstvorschriften, die im Ausschuss bereits thematisiert wurden, hätten mittels eines nicht-förmlichen Disziplinarverfahrens durch das LfV Hessen selbst geahndet werden müssen.

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