Am Freitag, den 04.12.2015, fand die 15. öffentliche Sitzung des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses statt. Als Zeugen waren drei Polizisten aus dem Polizeipräsidium Nordhessen geladen, die 2006 an den Ermittlungen zum Mord an Halit Yozgat beteiligt waren. Die Zeugen waren Helmut Wetzel, Cihan B. (beide ehem. MK Cafe) und Wilfried Henning (Polizeipräsident a.D. Kassel).
Als erster Zeuge war Helmut Wetzel geladen. Er war 2006 Teamleiter des K11 (Kriminaldirektion in Kassel) und wurde später Leiter der MK Cafe. Wetzel begann mit einer längeren Ausführung zu den Umständen der Ermittlungen. Er schilderte, wie er als Teamleiter des K11 zum Tatort gerufen wurde. Dort sei die Situation zuerst unübersichtlich gewesen. Durch die Obduktion und die ballistische Untersuchung habe sich schnell herausgestellt, dass der Mord an Halit Yozgat Teil der sogenannten „Ceska-Mordserie“ war. Er erklärte, wie die MK Café sich gründete und wie die Zusammenarbeit mit den anderen Ermittlern in der Mordserie ablief: zuerst kooperierte die MK mit der Polizei in Nürnberg und Dortmund (wo nur 2 Tage vor Halit Yozagt Mehmet Kubasik ermordet wurde), später vor allem mit der „BAO Bosporus“. Es hätte bei ihm und seinen Kollegen schnell die Vermutung über ein fremdenfeindliches Motiv in der Mordserie gegeben (obwohl dies nicht schriftlich festgehalten wurde). Die Ermittlungen hätten sich aber nicht auf die Kasseler Neonazi-Szene konzentriert, da man dieser eine solche Tat nicht zugetraut und zudem eine Verbindung der Täter nach Nürnberg vermutet habe. Stattdessen habe man auch im Umfeld des Opfers ermittelt, wie es bei Morduntersuchungen üblich sei, ohne dass sich jedoch eine Hypothese hierzu bekräftigt hätte.
Andreas Temme habe er bis zur Hausdurchsuchung lediglich für einen Zeugen gehalten, bis heute sei seine Rolle aber undurchsichtig und mit vielen Spekulationen verbunden. Als Temme den zwei Beamten (Wetzel bezweifelte, dass es tatsächlich nur zwei waren), die sein Haus durchsuchen wollten, eröffnete, dass er Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) sei, wurde die Hausdurchsuchung verschoben. Es sollte beraten werden, wie mit dieser neuen Information umzugehen sei. Diese Entscheidung wurde später kritisiert, weil Temme dadurch die Möglichkeit gegeben wurde, Beweismittel zu vernichten. Laut Wetzel habe sich Temme in der späteren Vernehmung grundsätzlich kooperativ verhalten, ebenso wie anfangs der Verfassungsschutz. Dieser habe die Vorwürfe gegen Temme durch die MK Café nicht ernst genommen, so der Eindruck Wetzels, ansonsten hätte sich das LfV anders verhalten und Temme etwa einen Anwalt vermittelt. Erst als es um die Befragung von Temmes V-Leuten ging, habe der VS sich nicht mehr kooperativ verhalten und eine Aussagegenehmigung für die V-Leute verhindert, so Wetzel.
Befragt wurde Wetzel auch zu einer möglichen Weitergabe von Ermittlungsergebnissen an Andreas Temme. Hinweis hierfür war ein mitgeschnittenes Telefonat zwischen Temme und dessen Vorgesetzten Fe., in dem Fe. Temme gegenüber auch Informationen nannte, die er von Wetzel oder dessen Vorgesetzten Hoffman hatte. Wetzel trug hierzu jedoch keine weiteren erklärenden Informationen bei. Auf Benjamin Gärtner als Quelle aus der rechten Szene angesprochen habe Temme gesagt, dass er Gärtner als erste Quelle „zum Üben“ erhalten habe, da dessen Informationen sehr unergiebig gewesen seien, so Wetzel.* Auf die Frage, ob er denke, dass der NSU in Kassel Helfer gehabt habe, antwortete Wetzel, dass er dies aus heutiger Sicht für wahrscheinlich halte, da auf dem beim NSU in Zwickau gefundenem Zettel neben Funkfrequenzen der Polizei und Rettungsdienste auch mögliche andere Ziele notiert waren, für die man Ortskenntnisse benötige. Des weiteren berichtete er, dass während der Ermittlungen Testschüsse gemacht wurden, die ergaben, dass selbst mit Schalldämpfer die Schüsse im Internetcafe erstaunlich laut gewesen sein müssen, so dass sie zu hören waren.
Als zweiter Zeuge war Cihan B. geladen. B. war 2006 für ein halbes Jahr der Stellvertreter Wetzels als Leiter der „MK Café“ und ist heute Leiter des Staatsschutzes (ZK10) in Kassel. Er sagte aus, dass die beiden Staatsschutzbeamten, die damals in der „MK Café“ beteiligt gewesen seien, bewusst hinzugezogen wurden, um einem möglichen rechtsextremen Motiv nachzugehen. Auch er war an der Entscheidung beteiligt, die Hausdurchsuchung bei Andreas Temme zu verschieben und verteidigte dies ähnlich wie Wetzel und F. mit dem ungewöhnlichen Umstand, die Wohnung eines VS-Beamten durchsuchen zu wollen. Dies habe eine notwendige Neuordnung der Durchsuchung nach sich gezogen, da auch Temmes Büro etc. durchsucht werden mussten. Auch B. beteuerte, es sei damals in alle Richtungen ermittelt worden, obwohl keine Vermerke existieren, die belegen, dass in Richtung Rechtsextremismus ermittelt wurde.
Als dritter Zeuge sagte der ehemalige Polizeipräsident des Präsidiums Nordhessen Wilfried Henning aus. Henning war aufgrund der Bedeutung des Mordes an Halit Yozgat als Teil einer Mordserie enger in die Ermittlungen eingebunden als sonst üblich in Mordfällen. Er nahm regelmäßig an Besprechungen der „MK Café“ Teil. Die Entscheidung, keinen Haftbefehl gegen Temme zu beantragen (an der er beteiligt war), begründete er mit seinem Vertrauen in die Einschätzung Wetzels, dass Temme glaubwürdig sei.
Die Beziehung des Polizeipräsidiums Nordhessen zum LfV bezeichnete Henning auf der normalen Behördenebene als problemlos. Problematisch wurde es jedoch, wenn es um das Geschäft des LfV ginge. Er habe sich dem LfV gegenüber oft wie ein Bittsteller gefühlt, was ihn verärgert habe. Die Abfuhr des LfV-Präsidenten Irrgang zu den Aussagegenehmigungen der V-Leute habe er erwartet.
Auf eine Frage zu möglichen Verbindungen zwischen Polizisten aus Kassel und dem rechtsterroristischen Blood&Honour-Netzwerk, über die der Wiesbadener Kurier bereits letzten Sommer berichtete, konnte Henning nichts sagen.
Thema war auch ein Schreiben des LfV an Henning, in dem es hieß, dass im Zuge von Freitagsgebeten in der Moschee Ismail Yozgats Bekannte Druck auf diesen aufgebauen würden, um sich mit Hilfe anderer an Temme zu rächen. Begründet wurde diese Unterstellung einer vermeintlich geplanten „Blutrache“ auch mit dem „ethnisch-kulturellen Hintergrund“ Ismail Yozgats. Henning übernahm damals diese Unterstellung des LfV in einem Vermerk und begründete dies in der Ausschusssitzung ebenfalls damit, dass aufgrund des „ethnisch-kulturellen Hintergrunds“ der Familie diese leichter aufgebracht sei. Das sehe man auch an den Auseinandersetzungen zwischen kurdisch- und türkisch-nationalistischen Demonstrationen, so Henning. Woher das LfV diese Informationen gehabt haben will, konnte Henning nicht sagen.** Das LfV habe ihm damals lediglich gesagt, dass sie durch Operative Maßnahmen weitere Informationen dazu sammeln wollten.
*Gärtner wurde 2011 auf einer Liste der Bundesanwaltschaft als möglicher Unterstützer des NSU geführt.
**Tatsächlich nahm Ismail Yozgat an keinem einzigen Freitagsgebet teil, wie die Polizei ermittelte, weshalb auch die Vorwürfe des LfV über Aufforderungen zur „Blutrache“ nicht stimmen können (Abschlussbericht des Bundestags UA, S. 732)