Bericht zur 40. Öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag (26.06.2017)

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In der Sitzung am 26.06.2017 war als einziger Zeuge der hessische Ministerpräsident und ehemalige hessische Innenminister Volker Bouffier geladen. Die Befragung Bouffiers kreiste vor allem um die von ihm 2006 mitgetragene Entscheidung, die V-Leute, welche der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme als Quellen führte, nicht von der Polizei vernehmen zu lassen. Temme war höchstwahrscheinlich während des Mordes an Halit Yozgat am 06. April 2006 am Tatort in dessen Internetcafé. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten die V-Leute Temmes verhören, das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen wollte dies nicht. Bouffier entschied sich zugunsten des LfV.

Volker Bouffier
begann vor der Befragung mit einigen Ausführungen. Er bezeichnete die Morde des NSU als ungeheuerlich und bedauere diese. Zugleich versuchte er zu zeigen, wie sich ihm die Situation 2006 darstellte: Nach den Anschlägen vom 11. September und weiteren Anschlägen in Europa prägte der islamistische Terror das Denken der Behörden, so Bouffier. Die Entscheidung, die Quellen Temmes von der Polizei nicht vernehmen zu lassen, sei eine ergebnisoffene Abwägungsentscheidung gewesen, bei der er die unterschiedlichen Interessen der Staatsanwaltschaft und des LfV abgewogen hätte.
Vom Ausschuss auf einen handschriftlichen Vermerk angesprochen bestätigte Bouffier, dass er die Anweisung gegeben habe, dass er die endgültige Entscheidung träfe, ob die V-Leute verhört werden dürften. Eigentlich habe die Zuständigkeit beim LfV gelegen, er habe die Entscheidung aber für bedeutsam gehalten und sich deshalb die abschließende Entscheidung vorbehalten.
Bouffier betonte während der Vernehmung immer wieder, dass es sich um eine ergebnisoffene und sorgfältige Abwägungsentscheidung unterschiedlicher Interessen von Polizei/Staatsanwaltschaft und LfV gehandelt habe. Ausschlaggebend sei für ihn die Wichtigkeit der V-Leute als Quellen für Informationen aus der islamistischen Szene gewesen. Wären die V-Leute von der Polizei vernommen worden, hätte das LfV womöglich nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten können und sie würden als Quellen entfallen. Der Polizei und Staatsanwaltschaft sei es auf der anderen Seite nur um das Abklären einer formalen Spur gegangen und zu dem Zeitpunkt nicht mehr und einen konkreten Tatverdacht gegen Andreas Temme, so die Darstellung Bouffiers. Deswegen habe er sich gegen eine direkte Vernehmung der V-Leute entschieden, trotz der bundesweiten Bedeutung des Mordes an Halit Yozgat, die von der Staatsanwaltschaft betont wurde.
Im weiteren Verlauf der Befragung stellte sich jedoch heraus, dass Bouffier bezüglich seiner „sorgfältigen“ Entscheidung nicht sagen konnte, um wie viele fragliche V-Leute es sich überhaupt handelte. Außerdem sei er nur über V-Leute aus der islamistischen Szene informiert gewesen. Dass zwei der sieben V-Personen in der rechten Szene aktiv waren, habe er angeblich nicht gewusst, so Bouffier. An eine Einigung zwischen LfV und Staatsanwaltschaft/Polizei für ein Verfahren der Befragung, die aus Dokumenten möglicherweise hervorgeht, könne er sich nicht erinnern.
Er begründete seine Entscheidung gegen die Vernehmung der V-Leute mit einem Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), das in Auftrag gegeben wurde, um die Relevanz der V-Leute zu bewerten. Hier liegt der Verdacht nahe, dass es sich bei dem Gutachten um einen Gefälligkeitsdienst handelte, da der Ausstellende Alexander Eisvogel wenige Monate später zum Präsidenten des LfV Hessen ernannt wurde. Bouffier wies dies zurück und gab an, Eisvogel zum Zeitpunkt des Gutachtens nicht gekannt zu haben und die Personalentscheidung zu Eisvogel unabhängig davon getroffen zu haben.
Ein anderer Themenkomplex, um den sich die Befragung im Ausschuss drehte, war die späte Berichterstattung Bouffiers gegenüber dem hessischen Landtag bezüglich des Mordes in Kassel: Das von Bouffier geleitete Innenministerium informierte die parlamentarischen Kontrollgremien über Einzelheiten des Mordes an Halit Yozgat und die Causa Temme erst nachdem die Presse darüber berichtet hatte, obwohl es gesetzlich festgelegt ist, die parlamentarischen Gremien über besondere Vorkommnisse im LfV zu informieren. In einer Sitzung im Mai 2006 erstattete der Sprecher Bouffiers dem zu Geheimhaltung verpflichteten parlamentarischen Kontrollgremium jedoch nicht Bericht. Bouffier begründete diese Entscheidung mit dem Versuch, Details über den Mord aus der Öffentlichkeit fern zu halten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden, was er trotz der Verpflichtung zur Geheimhaltung der Gremien nicht ausschließen wollte.
Zuletzt befragte Hermann Schauss von der Partei DIE LINKE Bouffier noch kurz zu einem möglich Kennverhältnis zu Temme: Der ehemalige Vorgesetzte Temmes Frank-Ulrich-Fehling erzählte in der 36. öffentlichen Sitzung von Grillfesten des „Arbeitskreis CDU im LfV Hessen“ im kleinen Kreis, zu denen er Temme mehrmals um das Jahr 2000 herum mitgenommen hätte. Auf mindestens einem dieser Grillfeste soll auch Bouffier gewesen sein, so Fehling. Bouffier sagte jedoch aus, er kenne weder Temme persönlich noch einen solchen Arbeitskreis. Er sei jedoch als Politiker auf vielen Grillfesten gewesen, habe aber keinerlei Erinnerungen an eine Begegnung mit Temme.

Während der Befragung ging Volker Bouffier immer wieder auf die Geschichte islamistischem Terrors und die damit einhergehende Bedrohung ein. Dagegen zeigte er eine gewisse Geschichtsvergessenheit, was rechten Terror betrifft. So erwähnte er nicht, dass dieser auch eine lange Geschichte in der BRD und insbesondere Hessen hat und konnte beispielsweise nicht sagen, in welchem Jahr das Oktoberfestattentat stattfand. Hierzu passt seine Aussage, dass ihm über 300 Hinweise zwischen 1992 und 2012 über Waffen- oder Sprengstoffbesitz nicht ungewöhnlich vorkämen. Des Weiteren zeigte Bouffier auffällig viele Erinnerungslücken über ein übliches Maß gemessen an dem Zeitraum von über zehn Jahren hinaus: Häufig antwortete er auf Fragen damit, dass es ihm nicht erinnerlich sei.

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