Bericht zur zehnten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses (6. Juli 2015)

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Zur zehnten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses waren vier Staatsanwälte als Zeugen geladen, die zwischenzeitlich mit Ermittlungen der Mordserie des NSU betreut gewesen waren. Als Grundlage hierfür diente ein Beweisantrag von CDU und Grünen. Die Zeugen berichteten von ihrer Arbeit in den jeweiligen Staatsanwaltschaften (StA) und Ministerien und Bezügen zum NSU, die ihnen dabei bekannt geworden waren.

Als erster Zeuge sagte Dr. Christoph Strötz aus. Er arbeitete bis 2005 im bayrischen Staatsministerium, bis 2015 dann als Generalstaatsanwalt (GenStA) bei der Münchener Staatsanwaltschaft. Strötz berichtete, im September 2001 erstmals durch einen Bericht der GenStA München von der Mordserie erfahren zu haben. Es wurde festgestellt, dass bei dem Mord in München am 29.8.2001 die gleiche Tatwaffe wie bereits zuvor bei drei weiteren Morden verwendet wurde. Daraufhin habe er sich mit der GenStA Nürnberg in Verbindung gesetzt und vorgeschlagen, die Verfahren ab sofort zusammen zu führen. Nach dem weiteren Mord in München im Jahr 2005 veranlassten die StAs in München, die Verfahren nach Nürnberg abzugeben.
Auf Nachfrage erklärte er, bis 2006 keine Bezüge der Ermittlungen nach Hessen, mit Ausnahme des damaligen Wohnortes des ersten Mordopfers Enver Şimşek, gehabt und den Namen Andreas Temme zuvor nicht gekannt zu haben.
Das Jahr 2001 war seiner Erinnerung nach von rechtsextremen Gewalttaten geprägt, beispielsweise wurde auf der Burg Trausnitz ein Grieche zusammengeschlagen, ein Mob zündete ein Flüchtlingsheim an. Dass der NSU aus gleichen Motiven heraus mordete, sei damals nicht greifbar gewesen.
Die Ermittlungen bezeichnete Strötz als der Lage angepasst und den Erkenntnissen entsprechend.

Als zweiter Zeuge war Oberstaatsanwalt Hans Kornprobst aus München geladen. Dieser arbeitete als Nachfolger von Strötz bis 2007 und noch einmal von 2009 bis 2011 im bayrischen Staatsministerium. Den ersten Bericht zur Mordserie erhielt er im Juni 2005 nach dem fünften Mord in Bayern. Hiernach wurden die Ermittlungen in Nürnberg/Fürth konzentriert und die polizeiliche Ermittlungseinheit Bosporus gegründet. Nach einer Dienstbesprechung im November 2006 wurden die Ergebnisse des Profilers Born vorgestellt und die Hypothese eines rechtsextremen Motivs diskutiert. Hiernach erfolgte eine Rasterfahndung, in welcher 30 Millionen Datensätze gesammelt und ausgewertet wurden. Gleichzeitig wurde zur der Herkunft der Tatwaffe ermittelt.
Auch er habe bis 2006 keinen Bezug des Mordes nach Hessen wahrgenommen, der Name Andreas Temme tauchte nicht auf. Auf Nachfrage nach einem möglichen rechtsextremen Hintergrund der Taten erklärt er, dass dies nicht als wahrscheinlich angesehen wurde, weil einerseits keine Bekennerschreiben vorhanden waren und durch Zeugenaussagen die Hypothese der organisierten Kriminalität im Umfeld der Opfer gefestigt wurde.
Kornprobst erklärte, dass Taten mit politischer Zielrichtung von den Tätern öffentlich gemacht würden. Die fehlenden Bekennerschreiben hätten daher ein anderes Motiv nahegelegt. Er erkannte allerdings an, dass auch beim Oktoberfestattentat die Täter nicht an die Öffentlichkeit getreten sind.
Seiner Meinung nach sei von Polizei und Staatsanwaltschaft in alle Richtungen ermittelt worden. Der Begriff „Döner-Morde“ sei von den Medien geprägt, weshalb Ermittlungseinheiten „Bosporus“ und „Halbmond“ hießen, wisse er nicht.

Nach einer Unterbrechung und einem nichtöffentlichen Teil der Sitzung des UA folgt die Aussage von Landes Oberstaatsanwalt (LOStA) Reinhard Krüger aus Rostock. Ab 2004 habe er als Abteilungsleiter die Ermittlungen nach dem Mord in Rostock mitverfolgt, ab 2006 habe er sich damit unmittelbar selbst befasst. Bereits zwei Wochen nach der Tat in Rostock 2004 gab es Überlegungen, das Verfahren nach Nürnberg abzugeben, was dort abgelehnt wurde. Auch das BKA übernahm die Ermittlungen nicht, führte aber „strukturelle Zusatzermittlungen“ hinsichtlich der Tatwaffe durch. In Rostock habe man sich auf die Ermittlungen im Umfeld des Opfers konzentriert, der Hinweis eines Insassen der JVA Tegel auf einen rechtsextremen Hintergrund habe sich nicht bestätigt. Im September 2011 wurde das Verfahren eingestellt.
Laut Krüger seien bis zum Mord an Halit Yozgat 2006 keine Bezüge nach Hessen vorgekommen, von Andreas Temme habe er ebenfalls erst nach dem Mord in Kassel 2006 erfahren. Auf die Frage, ob auch die rechte Szene in Betracht gezogen wurde erklärte er, wenn eine Reihe „Ausländer“ umgebracht würden, natürlich auch dies berücksichtigt würde. Hinweise hierfür lieferte das LfV Mecklenburg-Vorpommern, Aussagen von V-Leuten wurden an die Ermittler weitergegeben. Die Arbeit mit dem VS sei hierbei allerdings eine Einbahnstraße, da aufgrund des Quellenschutzes wenige Informationen weitergegeben werden würden. Ein Ergebnis hätten diese Ermittlungen nicht gebracht.

Als letzter Zeuge wurde StA Dr. Heiko Artkämper aus Dortmund angehört. Er berichtete von den Ermittlungen nach dem Mord an Mehmet Kubașik am 4.4.2006. Als Staatsanwalt habe er die Ermittlungen geleitet und sei über jeden Schritt dieser informiert gewesen. Die Dortmunder Nordstadt, wo Kubașiks Kiosk lag, stellte er als Stadtteil mit hohem Migrationsanteil dar. Es sei offen in alle Richtungen ermittelt worden, ein fremdenfeindlicher Hintergrund hätte jedoch nicht offensichtlich vorgelegen, so Artkämper. Die Aussage einer Zeugin, die Täter könnten einen „braunen Hintergrund“ gehabt haben, widerrief diese später. Nach dem kurz darauf folgenden Mord an Halit Yozgat in Kassel habe es ein Treffen von verschiedenen Ermittlergruppen gegeben. An Details könne er sich hierbei nicht erinnern, hierfür solle das Protokoll des Treffens gesichtet werden. Auch Artkämper habe bis zum Mord in Kassel weder Bezüge nach Hessen festgestellt, noch den Namen Andreas Temme gekannt.

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