Bericht zur dritten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses (02. März 2015)

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Die dritte Ausschusssitzung beschäftigte sich mit rechten Gruppierungen in Hessen.

Anhörung Benno Hafeneger

Als erster Experte war der Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger von der Philipps-Universität Marburg geladen. Sein Vortrag behandelte eigene Studien zu rechter Jugendkultur aus dem Zeitraum der Jahre 2000 bis 2007 in Hessen. Seiner zentralen These zufolge, handelte es sich ab den 2000er Jahren in Hessen um eine sowohl personell als auch strukturell dynamische Szene. Es gab in der rechten Szene informelle Freundschaftsbeziehungen aber auch auf Dauer organisierte Kameradschaften. Im Zuge seiner Studien identifzierte Hafeneger in 37 Kommunen rechte Jugendcliquen im Jahre 2002. In den darauffolgenden Jahren untersuchte er rechte Jugendcliquen in mehreren hessischen Landkreisen und Kommunen.

Die rechte Szene war überregional vernetzt: Es fanden Reisen mit den Schwerpunkten Thüringen und Nordrhein-Westfalen statt, u.a. zu Konzerten. Er zeichnete damit ein anderes Bild als die bisher geladenen Vertreter des Verfassungsschutzes. Hafeneger betonte, dass die rechte Szene nicht aus isolierten Kleingruppen besteht, sondern bundesweit zusammenarbeitet und intensive Kontakte pflegt. Diese Erkenntnisse lieferten ihm Interviews mit Personen aus der rechten Szene, die er im Rahmen seiner Forschungstätigkeit geführt hat, darunter auch ein Interview mit einer Nazi-Clique aus Kassel.

Hafeneger merkte an, dass Verfassungsschutz und Polizei meist nur auf organisierte Strukturen blicken. Aus seiner Sicht müssten aber auch die gesellschaftlich allgemein verbreiteten Einstellungen und Potentiale für rechte Ideologien in den Blick genommen werden. Hierfür verwies er auf Studien zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, laut der Hessen im bundesweiten Trend liegt. Hafeneger forderte deshalb, eine Studie speziell für das Land Hessen durchzuführen, in der die sozialen und politischen Einstellungsmuster untersucht werden. Er betonte außerdem die Wichtigkeit von Präventionsarbeit und kritisierte dabei, dass sich bisherige Programme ausschließlich auf Jugendliche konzentrieren. Man müsse Präventionsarbeit auch in der Erwachsenenbildung etablieren.


Anhörung Dirk Laabs

Als zweiter Experte war Dirk Laabs geladen, Journalist und Mitautor des Buches „Heimatschutz“. Sein Vortrag wurde mit Spannung erwartet, nachdem er wenige Tage zuvor mit Stefan Aust und Per Hinrichs in der Welt am Sonntag einen Artikel über den Kasseler Mord veröffentlicht hatte. Die darin enthaltenen Informationen legen nahe, dass der Verfassungsschutz bereits im Vorfeld von dem Mord an Halit Yozgat wusste.

Gegenüber den hohen Erwartungen an ihn, bemerkte Laabs, dass er keine endgültige Aufklärung betreiben könne und mehr offene Fragen als Antworten habe. Der Ausschuss müsse diese offenen Fragen gründlich bearbeiten.

Eine seiner ersten Forderungen war an den Verfassungsschutz gerichtet. Dieser solle sich bei der Familie von Halit Yozgat für die bisherigen Vorfälle entschuldigen. Insbesondere rügte er die Sprache, die die Verfassungsschützer im Hinblick auf den Kasseler Mord verwendet haben, beispielsweise despektierliche Ausdrücke gegenüber dem Opfer.

Hinsichtlich der neu ausgewerteten Abhörprotokolle von Temmes Telefon, empfahl Laabs allen Ausschussmitgliedern, diese genau anzuhören und sich ein eigenes Bild zu machen. In diesen Protokollen finden sich u.a. Gespräche zwischen Temme und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die eine Mitwisserschaft Temmes bezüglich des Mordes nahelegen  (Pressemittelung von NSU-Watch Hessen vom23.02.2015).

Er kritisierte die mangelnde Aussagebereitschaft von Temme und anderen Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes. Zwar gebe es in einem Rechtsstaat auch ein Zeugenverweigerungsrecht. Aber gerade bei Temme als Beamter des Landes Hessen, gebe es bisher ungenutzte Möglichkeiten, um eine Aussage zu erzwingen.
Laabs zeigte sich irritiert, ob des Verhaltens des Verfassungsschutzes und seiner Mitarbeiter gegenüber Temme. Obschon der Kasseler Mord das Amt in eine tiefe Vertrauenskrise geführt habe und auch die Karrieren einiger Mitarbeiter*innen in Gefahr waren, sei Temme vom Amt und auch vom Land Hessen stets in Schutz genommen worden. Die fehlende Wut der Behörden auf Temme ist für Laabs ein Indiz, das ihn an seiner Version der Geschehnisse zweifeln lässt.

In Bezug auf den NSU-Komplex stellte Laabs klar, dass „Ausermittlung“ bisweilen lediglich heiße, dass man vom Verfassungsschutz geschwärzte Unterlagen durchgearbeitet habe. Die relevanten Informationen würden aber immer noch fehlen.

Laabs Vortrag war recht kurz, dafür gab es viele Rückfragen an seine Person durch die Ausschussmitglieder. Etwas angespannter wurde die Sitzung als der Grüne Abgeordnete Daniel May über die Vorwürfe von Laabs an den Verfassungsschutz sagte, diese seien ihm nahe gegangen. Laabs sagte in Richtung des Abgeordneten May, dass nach den Jahrelangen Anschuldigungen der Behörden gegen die Familie Yozgat, nun der Verfassungsschutz am Zug sei zu den Anschuldigungen Stellung zu beziehen und Transparenz herzustellen.

Laabs wurde gefragt, warum der NSU mit seinen Taten nicht an die Öffentlichkeit gegangen ist. Daraufhin antwortete Laabs, dies sei typisch für die rechte Strategie gewesen. Konzepte des Weißen Arischen Widerstands würden genau diese Strategie vorgeben.

Zum Zeitpunkt der Mordermittlungen lief in Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft. Wäre die mögliche Verwicklung eines Verfassungsschützers in den Mord an Halit Yozgat noch während der WM öffentlich bekannt geworden, hätte dies das aus für das „Sommermärchen“ bedeutet, so Laabs Einschätzung.

Insgesamt stellte Laabs in seinen Beiträgen klar, dass er derzeit nichts neues zur Aufklärung des NSU-Komplex beitragen könne und dementsprechend der Verfassungsschutz am Zug sei, endlich Aufklärungswillen zu zeigen.

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