Rede von NSU-Watch Hessen auf der Demo „Kein nächstes Opfer“ am 6. April 2017 in Kassel

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Liebe Freund*innen und Freunde,

wir freuen uns, dass ihr alle hier zu dieser Demonstration gekommen seid und dass uns die Möglichkeit gegeben wurde, hier eine Rede zu halten.
Wir sind von NSU-Watch Hessen und unsere Arbeit besteht darin, den hessischen NSU-Untersuchungsausschuss im Wiesbadener Landtag unabhängig zu begleiten und zu dokumentieren. Wir arbeiten unabhängig und ehrenamtlich und sind von keiner Partei oder Organisation eingeladen worden diese Arbeit zu machen, sondern tun das, weil wir es als Antifaschist*innen und Antifaschist*en für eine gute und wichtige Arbeit halten. Wir schreiben Berichte zu jeder einzelnen Sitzung und übersetzen diese auch ins Türkische. Beides könnt ihr auf unserer Internetseite finden.

Wir wollen euch heute eine kurze Einschätzung zur Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses in Hessen und den Problemen die wir dabei sehen, geben.
Die Probleme dieses Ausschusses haben schon angefangen, bevor überhaupt die erste Sitzung statt fand. Der Ausschuss wurde gegen den Willen der Regierungsparteien CDU und Grüne im Parlament beschlossen. Trotzdem haben die Regierungsparteien eine Mehrheit im Ausschuss. Im offiziellen Einsetzungsantrag, in dem die Themen des Ausschusses festgelegt wurden, kommt das Wort Rassismus nicht ein einziges mal vor. Der Antrag macht den Ausschuss statt dessen von Anfang an zu einem Mittel, um sich im parteipolitischen Kleinkrieg Vorteile zu verschaffen. Der Gang, den der Ausschuss seit seiner Einsetzung 2014 genommen hat, bestätigt leider immer wieder, dass die Aufklärung der Ermordung von Halit Yozgat durch eine terroristische Neonazi-Gruppe dahinter zurücktreten muss.
Die Ausschussarbeit wird intransparent gehalten und damit eine inhaltliche Aufklärung behindert. Zum Beispiel wird erst wenige Tage vor den Sitzungen bekannt gegeben, welche Personen überhaupt geladen sind. Es ist so nicht möglich sich inhaltlich auf die Themen und Zeug*innen vorzubereiten und die Befragung durch den Ausschuss kritisch zu überprüfen. Auch über zweieinhalb Jahre nach Beginn des Ausschusses tauchen immer wieder neue Akten auf, die dem Ausschuss offensichtlich vorher nicht zur Verfügung standen.
Trotzdem haben CDU und Grüne von Anfang an behauptet, es seien weder in den Ermittlungen der Polizei, noch in der Arbeit des Inlandsgeheimdienstes, noch in den hessischen Ministerien irgendwelche Fehler passiert. Begründet haben sie diese Einschätzung damit, dass darauf keine Hinweise in den Akten zu finden wären. Für das hessische Innenministerium stand zum Beispiel schon zwei Wochen nach dem Mord an Halit Yozgat im April 2006 fest, dass Andreas Temme privat und zufällig in Halit Yozgats Internetcafé war. Trotz aller neuen Erkenntnisse halten sie seit über 10 Jahren an der selben Einschätzung fest und stellen sie nicht mal ansatzweise in Frage.

Dem sogenannten „Verfassungsschutz“ wird damit klar gemacht, dass er für jedes Fehlverhalten die volle Rückendeckung der Regierung hat. Dass genau dieser Inlandsgeheimdienst bei seiner zentralen Aufgabe – der Verhinderung von Terror – völlig versagt hat, hat keinerlei Konsequenzen. Stattdessen hat der hessische Landtag beschlossen, dass der Inlandsgeheimdienst seit letztem Jahr, mehr Personal und mehr Geld bekommt.
Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass ein zentrales Problem bei der Arbeit des deutschen Inlandsgeheimdienstes der Einsatz von sogenannten Vertrauens-Leuten ist. V-Leute in der extremen Rechten sind Nazis, denen dafür Geld gegeben wird, dass sie Informationen an den sogenannten „Verfassungsschutz“ weitergeben. Im Zusammenhang mit dem NSU haben diese Vertrauens-Leute allerdings zum einen Informationen, die sie über den NSU hatten nicht weitergegeben und es wurden zum anderen Informationen über den NSU vom Inlandsgeheimdienst zurückgehalten, aus Angst, die V-Leute könnten auffliegen. Durch das V-Leute-System wurde so eine frühzeitige Entdeckung des NSU verhindert und so die Morde und Anschläge erst möglich gemacht. Gleichzeitig wurde das Geld, das diese Nazis vom sogenannten „Verfassungsschutz“ bekommen haben dazu verwendet, die Nazi-Bewegung zu finanzieren und am laufen zu halten. Durch das V-Leute-System ist der Inlandsgeheimdienst zu einem der größten Unterstützer der Nazi-Bewegung in Deutschland geworden. Trotzdem wird auch von der Mehrheit der Abgeordneten im hessischen Landtag dieses System nicht im geringsten angezweifelt.
Mit den Aussagen der Mitarbeiter*innen des sogenannten „Verfassungsschutzes“ führt dieser stattdessen das Parlament an der Nase herum. Wenn die Fragen zu brisant werden, wird einfach behauptet, man erinnere sich nicht. Eine solche Missachtung der Parlaments, also der zentralen Institution einer (bürgerlichen) Demokratie, durch eine Behörde, die sich ironischerweise auch noch „Verfassungsschutz“ nennt, ist empörend. Genauso empörend ist, dass die Parlamentarier insbesondere der CDU und der Grünen diese Missachtung ihrer eigenen Arbeit auch noch sehenden Auges mittragen.

Bei dieser Demonstration heute soll es um die Opfer von Nazi-Terror und Rassismus gehen und es soll institutioneller und gesellschaftlicher Rassismus als zentrales Thema im NSU-Komplex thematisiert werden. Das ist auch deshalb wichtig, weil diese Themen im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss keinen Raum bekommen. Die Angehörigen von Halit Yozgat wurden nicht geladen. Der Ausschuss erklärt ihre Perspektiven und ihre Erfahrungen damit für Unwichtig und stellt in Abrede, dass die Fragen der Betroffenen für die Aufklärung relevant sind. Gleichzeitig werden Nazis als Zeugen in den Ausschuss geladen und bekommen Raum, um das Ausmaß rechter Gewalt und rechten Terrors zu verharmlosen und klein zu reden. Die mehrheitlich „weißen“ Abgeordneten haben es dabei nicht geschafft diese verharmlosenden Erzählungen oder die Selbstdarstellung der Nazis zu durchbrechen.

Wir versuchen mit unserer Arbeit diesen Verhältnissen entgegenzuwirken und der Selbstdarstellung der beteiligten Parteien eine eigene Erzählung entgegenzusetzen. Das können wir aber nicht alleine tun. Je mehr Besucher*innen zu den Ausschusssitzungen kommen, desto stärker können wir den Abgeordneten zeigen, dass wir sie beobachten und ihnen ihr Verhalten nicht durchgehen lassen. Je lauter wir gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus anprangern, desto mehr Druck können wir für seine Thematisierung im Parlament und in der Öffentlichkeit aufbauen. Demonstrationen wie diese hier und heute sind der Grundstein für eine solidarische Gesellschaft ohne Rassismus.

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