31. Prozesstag, 19. November 2020

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Am 31. Prozesstag stand das psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. Leygraf über den Angeklagten Stephan Ernst im Mittelpunkt. In seinem Gutachten hält der Sachverständige diesen für voll schuldfähig und sieht die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung im Anschluss an seine Haft gegeben.

Der Vormittag des Prozesstages war zuvor von der Auseinandersetzung um eine ärztliche Untersuchung des Hauptangeklagten Ernst geprägt. Dieser fühlte sich verhandlungsunfähig und wollte durch einen Arzt begutachtet werden. Richter Sagebiel bestand darauf, dass kein weiterer Arzt hinzugezogen wird, da der sowieso anwesende psychiatrische Gutachter Leygraf als Mediziner für eine Einschätzung ausreichen würde. Ernst wollte allerdings nicht von dem Gutachter untersucht werden. In der Pandemie-Situation rufe er aber keinen Notarzt für einen gesunden Mann zur Hilfe, so Sagebiel. Nach einiger Diskussion wurde die Sitzung unterbrochen, das notwendige Equipment für die Untersuchung besorgt, und die Untersuchung durch Leygraf durchgeführt. Dieser erklärte Ernst für vernehmungsfähig. Gegen zwölf Uhr konnte der Sachverständige dann mit der Präsentation seines Gutachtens beginnen und führte die Kernpunkte seines schriftlichen Gutachtens mündlich aus. Ihm standen als Grundlage seines Gutachtens die bisher anfertigten Gutachten über Ernst aus früheren Verfahren, alte Therapieunterlagen, die Ernst für Leygraf freigegeben hatte, seine beiden Gespräche mit Ernst sowie seine Beobachtungen an den Prozesstagen zur Verfügung. Er kam zum Ergebnis, dass Stephan Ernst voll schuldfähig ist und die Bedingungen für eine anschließende Sicherungsverwahrung gegeben sind. Ernst zeichne sich nicht nur durch die langfristige Planung von Straftaten aus, sondern begehe auch spontane Taten gegenüber Zufallsopfern.

Er schilderte den Kontakt zu Ernst als weitgehend emotionslos und monoton. Er habe nicht das Gefühl gehabt, mit Ernst ein offenes Gespräch zu führen. Ernst habe durchgängig einen bedachten und kontrollierten Eindruck gemacht. Leygraf wies beispielhaft darauf hin, dass Ernst zwar ein Taschentuch zu seinen Augen führte, er aber keinen Tränenfluss erkennen konnte. Ernst wirke in den Momenten, in denen er Emotionen zeige, wie „an- und ausgeknipst“.

Leygraf wies insbesondere auf die Widersprüche in Ernsts Angaben hin. Er stellte zwei Seiten an ihm fest: einerseits sei er seit seiner Haftentlassung bürgerlich gut integriert, habe eine lange Beziehung geführt und seinen Beruf ausgeübt, gleichzeitig habe er sich in der rechten Szene organisiert und Rachefantasien verschriftlicht. Ein früherer Gutachter sei zu dem Ergebnis gekommen, Ernst leide an einer Borderline-Störung. Diese Einschätzung teile er nicht und ihm sei nicht klar, wie es damals zu dieser Diagnose kam. Vielmehr stellte er heraus, dass Ernst dazu neige, sein Verhalten durch die Beeinflussung durch andere zu begründen. Diese Externalisierungstendenzen sehe man auch im Verhältnis zu Hartmann. Dabei könne es auch sein, dass Ernst sich dessen nicht bewusst sei, sondern sich selbst belüge.

Ernst hatte angegeben, sich 2009 nach der Festnahme am 1. Mai in Dortmund aus der rechten Szene gelöst zu haben. In seiner damals laufenden Therapie machte er dazu allerdings keine Angaben. Leygraf zeigte sich verwundert darüber, dass Ernst, der sich damals in einem psychisch schlechten Zustand befand und unter Angststörungen litt, keine Angaben darüber gegenüber seiner Therapeutin machte und auch nichts vom drohenden Gerichtsverfahren in der Therapie erzählte, obwohl beides in engem zeitlichen Zusammenhang stand. Er gab allerdings gegenüber der Therapeutin an, in 2011 mit einem Kollegen zusammen das Bogenschießen begonnen zu haben. Das steht im Widerspruch zu seiner Angabe, Hartmann erst 2013 wieder getroffen zu haben und durch ihn in den Schützenverein gekommen zu sein. Leygraf bezweifelte die Darstellung Ernsts, sich für den Zeitraum 2009-2013 in einer „ideologiefreien Phase“ befunden zu haben; auch, weil die Teilnahme an der Sonnenwendfeier im Jahr 2011 belegt ist. Dementsprechend habe auch Ernsts Teilnahme am hessischen Aussteigerprogramm IKARUS für Leygraf keinen Einfluss auf das Ergebnis seines Gutachtens.

Der „markante Ausländerhass“ sei fester Bestandteil von Ernsts Persönlichkeit und es bräuchte eine langfristige Therapie und ein Vertrauensverhältnis zu einem Therapeuten, um dies bearbeiten zu können. Der Gutachter wurde unvereidigt entlassen, nachdem er Fragen der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger von Ernst beantwortet hatte.

Abschließend gab der Senat bekannt, dass weitere Prozesstermine bis zum 22. Dezember anberaumt wurden.

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