„Von Waffen war nie die Rede“ ‒ UNA Hanau, 10. Sitzung, 16.05.22

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In der zehnten öffentlichen Sitzung wurden zwei Polizisten und der Präsident des hessischen „Landesamtes für Verfassungsschutz“ (LfV) befragt. Dabei ging es um eine Anzeige, die der spätere Täter 2004 stellte, um Kenntnisse des LfV über den Täter und einen Streit zwischen dem späteren Täter und einer Sexarbeiterin 2018, die damals über „Todesangst“ vor dem Täter berichtet haben soll. Der damals ermittelnde Polizist will von letzterem nichts mitbekommen haben.

Bei der immer parallel zu den Ausschusssitzungen stattfindenden Kundgebung der „Initiative 19. Februar“ in unmittelbarer Nähe zum Landtag hatte1 Emiş Gürbüz ein Tisch mit Blumen und Kuchen errichtet, der daran erinnerte, dass ihr Sohn Sedat an diesem Tag Geburtstag gehabt hätte, wenn er nicht beim rassistischen Anschlag am 19. Februar 2020 umgebracht worden wäre. Zu Beginn der Sitzung machte auch der Ausschussvorsitzende Marius Weiß darauf aufmerksam, dass heute der 32. Geburtstag von Sedat Gürbüz gewesen wäre und sprach der anwesenden Emiş Gürbüz sein Beileid aus.

Anschließend begann die Befragung des 64-jährigen Kriminalhauptkommissars (KHK) Norbert Ke. Er wurde zur Frage geladen, welche Erkenntnisse die Behörden zum Täter von Hanau und dessen Vater vor dem Anschlag am 19. Februar 2020 hatten. Norbert K. war damals stellvertretender Kommissariatsleiter des Staatsschutzes im Polizeipräsidium Südosthessen (PP SOH). In dieser Funktion bearbeitete er laut Akten eine Anzeige des Täters, die dieser am 06. Dezember 2004 in der Polizeistation Hanau 1 gestellt hatte. Die durch den Täter gestellte Anzeige von 2004 beinhaltete wie spätere Anzeigen von 2019 den „Verdacht auf geheimdienstliche Tätigkeiten“, weswegen der Staatsschutz hierfür zuständig war. Im Untersuchungsausschuss gab K. an, in seiner Erinnerung keinerlei Kontakt zu dem Täter gehabt zu haben.

Insgesamt hatte K. im Ausschuss 18 Jahre später wenig Erinnerung. Laut Aktenlage habe er aufgrund der psychischen Auffälligkeit in der Anzeige, die voll von paranoiden Verschwörungsideologien über eine angebliche Verfolgung des Täters durch Geheimdienste, sowohl beim BKA als auch allen LKAs angefragt, ob etwas über den Anzeigensteller und späteren Täter vorliegt und den Vorgang am 20. Dezember 2004 dem zuständigen Gesundheitsamt des Main-Kinzig-Kreises weitergeleitet. Eine Meldung an das zuständige Gesundheitsamt erfolge immer in solchen Fällen, so K. Dieser Vorgang sei der am gründlichsten dokumentierte Teil der Akten, die ihnen vorlägen, so einer der Abgeordneten. Kontakt mit dem Vater des späteren Täters hatte Norbert K. seinen Angaben zufolge nur, als dieser einige Wochen später ca. am 30. Dezember 2004 bei ihm anrief, um sich über die Weiterleitung der Anzeige seinen Sohnes an das Gesundheitsamt zu beschweren.

Zum Schluss wurde Norbert K. noch gefragt, ob er damals abgefragt hätte, ob der Täter Schusswaffen und eine Erlaubnis, diese zu führen, besessen habe. [Eine solche Abfrage wäre 2004 noch negativ ausgefallen, da der Täter erst später eine Waffenerlaubnis beantragte]. Dies sei vermutlich nicht geschehen, da es in den Akten nicht erwähnt wurde, so Norbert K. Heute sei dies nach den Ereignissen der letzten Jahre Standard. Damit endete die Befragung.

Befragung des Präsidenten des hessischen „Landesamt für Verfassungsschutz“ Robert Schäfer

Als zweiter Zeuge des Tages wurde der aktuelle Präsident des „Landesamtes für Verfassungsschutz“ (LfV) Hessen, Robert Schäfer, angehört. Zu Beginn gab es jedoch einige Verunsicherung wegen der Beweisanträge, zu denen Schäfer geladen wurde, weil diese in seiner Ladung falsch nummeriert waren. Zum Einsatzgeschehen am Täterhaus dürfte er daher nichts sagen, so der Vorsitzende Weiß zu Schäfer, der allerdings angab, hierzu sowieso keine Erkenntnisse zu haben, da er nicht dabei gewesen sei.

Schäfer berichtete, wie er in der Tatnacht telefonisch über den Anschlag informiert wurde und dann mit anderen Personen aus seiner Behörde und anderen hessischen Behörden telefonierte, seiner Erinnerung nach auch mit dem hessischen Ministerpräsidenten. So fragte das PP SOH bei seiner Behörde an, ob etwas über den Täter bei ihnen vorliege. Sowohl beim hessischen LfV als auch bei anderen Verfassungsschutzämtern hätten aber keine Erkenntnisse zum Täter vorgelegen. Dies hätte eine Sonderauswertung nach der Tatnacht ergeben. Dies sei sowohl ärgerlich, als auch nachvollziehbar, so der Präsident des LfV Hessen, da der Täter keine erkennbaren Kontakte zur rechtsextremen Szene gehabt habe. Als LfV könnten sie in der Regel nur Gruppierungen und Personenzusammenschlüsse beobachten. Einzelpersonen hätten sie zu dem damaligen Zeitpunkt nur beobachten können, wenn diese mit Gewalt gegen die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung vorgehen wollten. Seit letztem Jahr sei dies auch möglich ohne eine Gewalttätigkeit der Einzelpersonen, allerdings nur in besonderen Fällen, etwa wenn die Person im öffentlichen Bereich eine besondere Aufmerksamkeit genieße, so Schäfer.

Auf die Frage, ob die vom Täter besuchten Schießtrainings im Ausland einen Bezug zu Kameradschaften oder ähnlichen Gruppen hätten, gab Schäfer an, dass sie bis heute keine Hinweise darauf gefunden hätten. Die Sonderauswertung zum Täter laufe jedoch noch und werde in den nächsten Wochen abgeschlossen. Weitere Fragen durch die Abgeordneten zu den Schießtrainings, etwa inwieweit solche Schießtrainings überhaupt auf dem Schirm des LfV seien, wie verbreitet diese in der extrem rechten Szene sind und ob die gleichen Schießplätze im Ausland seinen Wissens nach auch von anderen rechten Gruppen genutzt wurden, blieben an dieser Stelle aus.

Auf die Frage, ob man den Täter als Rechtsextremisten bezeichnen könne, sagte Schäfer, dass es eindeutige Hinweise auf Merkmale des Rechtsextremismus gebe. Ob dies eine feste Ideologie gewesen sei, könne er nicht sagen. Auf die Frage zur Gesinnung des Vaters des Täters wiesen sowohl Schäfer als auch der Ausschussvorsitzende Weiß auf die Persönlichkeitsrechte des Vaters hin, wegen denen dies in öffentlicher Sitzung nicht besprochen werden könne. Auf die Frage, ob das hessische LfV vor der Tat Kenntnisse zu Texten und Videos des Täters auf dessen Website hatte, in denen er die Tat quasi ankündigte, gab Schäfer an, dass das LfV Websites kontrolliere, wenn sie in Zusammenhang mit einem Beobachtungsobjekt ständen, sonst sei es „extrem kompliziert“. Auf die Nachfrage, ob das LfV Hessen mit Filtersystemen arbeite, um auf solche Sachen aufmerksam zu werden, wollte Schäfer in öffentlicher Sitzung nicht antworten, da es die Arbeitsweise des LfV Hessen Preis gebe.

Kurz darauf endete die öffentliche Befragung Robert Schäfers, der anschließend in nicht-öffentlicher Sitzung befragt wurde.

Polizist widerspricht BKA und will von „Todesangst“ von Sexarbeiterin vor Täter nichts gemerkt haben

Als dritter und letzter Zeuge der zehnten Sitzung war der 32-jährige Polizist Maximilian Kü. geladen. Er war wegen eines Vorfalls geladen, von dem einer der leitenden Ermittler des BKA in der 8. Sitzung berichtet hatte: Demnach habe sich der spätere Täter 2018 mit einer Sexarbeiterin in einer eigens angemieteten Ferienwohnung in Bayreuth getroffen. Er habe dieser dort Waffen gezeigt und Drogen konsumiert . Er habe von ihr sexuelle Praktiken, die sich nicht wollte, verlangt und habe sie filmen wollen. Die Sexarbeiter habe daraufhin „Todesangst“ verspürt und über einen Freund die Polizei rufen lassen, die allerdings nur wegen eines angebrochenen Joints und gegen die Sexarbeiterin wegen Prostitution ermittelte.

Maximilian Kü. war einer der vier Polizisten, welche auf den Notruf des Freundes hin zur Ferienwohnung gefahren ist. Telefonisch sei ihnen gemeldet worden, dass es „Probleme gibt mit Escort-Dame und Freier“. Im Ausschuss berichtete Kü. Folgendes: Als sie eintrafen habe die Sexarbeiterin die Tür geöffnet, daneben habe der spätere Täter gestanden. Beide seien vernommen worden. Die Frau habe ausgesagt, der spätere Täter habe sie beim Tanzen filmen wollen, was sie jedoch nicht wollte. Er habe aber bereits Aufnahmen von ihr gemacht, die er ihr nicht hätte zeigen wollen. Deswegen habe sie ihren Freund verständigt, der die Polizei rief. Von Waffen habe die Frau zu keinen Zeitpunkt gesprochen, so Kü. Wären Waffen im Spiel gewesen, hätten sie anders reagiert. In dem Fall hätten sie vermutlich das SEK geschickt oder seien nur mit Schutzmontur und mehr als zwei Streifen hingefahren. Die nicht besonders große Wohnung sei durchsucht worden, dabei seien nur ein angerauchter Joint und eine Tüte mit Sexspielzeug gefunden worden, keine Waffen. Die Kameraaufnahmen habe er sich zeigen lassen. Darauf sei nur der Täter zu sehen gewesen, wie er sich in Frauenkleidern selbst filmte, nicht die Sexarbeiterin. Letztere sei nicht panisch gewesen, als sie eintrafen. Der Streit zwischen den beiden sei zu diesem Zeitpunkt bereits vorüber gewesen. Von „Todesangst“ der Sexarbeiterin, wie es in der Aussage des BKA-Beamten hieß, sei nichts spürbar gewesen. Sie haben eher einen entnervten Eindruck gemacht, so Kü., und sei dann, kurz nachdem die Polizei eintraf, weggefahren.

Auf die Nachfrage von mehreren Abgeordneten hin gab er Polizist Kü. zu, dass nur die Wohnung und nicht das Fahrzeug des späteren Täters durchsucht worden sei. Er ging davon aus, dass die ganze Zweizimmerwohnung durchsucht worden sei, konnte im Ausschuss aber nicht sicher sagen, ob dies auch für das Bad gelte. Auf die Frage, ob sie die Sexarbeiterin gefragt hätten, ob sie Anzeige erstatten wollte, sagte Kü., sie hätte nichts in die Richtung geäußert.

Nach einer Dreiviertelstunde endete die Befragung des Polizisten Maximilian Kü. Seine Aussage steht im Widerspruch zu der des BKA-Ermittlers, nach der die Frau laut Akte von „Todesangst“ und einem Gewehr beim Täter gesprochen hätte. Mit dieser widersprüchlichen Aussage endete auch die öffentliche Sitzung.

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