Am ersten Prozesstag gegen Franco Albrecht verlas die Bundesanwaltschaft ihre Anklageschrift, in der sie Albrecht unter anderem die Vorbereitung eines terroristischen Anschlags vorwirft. Im Anschluss verlas die Verteidigung von Albrecht ein „Opening Statement“, in der sie dessen Umsturzversuche verteidigte und rassistische Verschwörungsideologien von sich gab.
Am 20. Mai 2021 begann der Gerichtsprozess gegen Franco Hans Albrecht vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt. Der gleiche Senat, der bereits im letzten Jahr das Verfahren gegen Stefan Ernst und Markus Hartmann führte, wollte 2018 die Anklage gegen Albrecht nicht zulassen. Erst der Bundesgerichtshof (BGH) revidierte in der nächst höheren Instanz die Entscheidung. Nun begann vier Jahre nach der Verhaftung von Albrecht und dreineinhalb Jahre nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft die Hauptverhandlung gegen ihn.
Der Prozessbeginn verzögerte sich gleich am ersten Tag um eine halbe Stunde. Wegen der Corona-Pandemie dürfen nur ein Drittel der Plätze auf Besucher*innen- und Pressetribüne belegt werden. Weitere Journalist*innen finden in einem Medienraum Platz, in den der Ton aus dem Gerichtssaal live übertragen wird. Doch mit der Technik zur Liveübertragung haperte es am ersten Tag, sodass die erste halbe Stunde Techniker damit verbrachten, Kabel und Anlage zu überprüfen.
Anklagesatz der Bundesanwaltschaft
Als die technischen Probleme gelöst waren, begannen um 10.30 Uhr nach einer kurzen Begrüßung und Einführung durch das Gericht die Generalbundesanwält*innen (GBA) Weingast und Buskohl mit dem Verlesen des kurzen Anklagesatzes aus der Anklageschrift gegen Franco Albrecht. Darin wirft ihm die Bundesanwaltschaft vor, seit spätestens Ende 2015 eine schwere staatsgefährdende Gewalttat (§89a StGB) vorbereitet zu haben. Hierzu habe er sich illegalerweise Waffen verschafft, verwahrt und besessen. Darunter eine halbautomatische Kurzwaffe, die er sich in Paris besorgt haben soll, und zwei weitere Schusswaffen samt Munition, sowie Sprengstoff, für den er ebenfalls keine erforderliche Berechtigung besaß. Die Munition stamme zu Teilen aus Bundeswehrbeständen und sei von Albrecht zwischen Januar 2015 und April 2017 in Hammelburg und Illkirch an sich genommen worden.
Albrecht verfüge über eine seit Jahren verfestigte völkisch-rechtsnationale Gesinnung, so die GBA. Er glaube an eine faktische Besetzung Deutschlands durch die USA und habe insbesondere Juden*Jüdinnen als Feindbild. Er glaube daran, dass die deutsche Nation „zersetzt“ werde und mache hochrangige Politiker*innen hierfür verantwortlich seien. Aufgrund dieser Einstellung habe er den Entschluss gefasst, Anschläge auf das Leben von Personen des öffentlichen Lebens zu führen, darunter die Politiker*innen Heiko Maas, Claudia Roth und die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung Anetta Kahane. Hierfür habe er sich unter hohem Aufwand die fiktive Identität eines Geflüchteten unter dem Namen David Benjamin verschafft. Die Tatpläne seien darauf angelegt gewesen, die Morde als radikalen Terrorakt eines in Deutschland anerkannten Asylsuchenden darzustellen. Sein Wunsch sei es gewesen, dadurch einen Bewusstseinswandel in Deutschland zu bewirken um Migration nach Deutschland seinem Wunsch nach zu begrenzen oder vollständig zu beenden, so die GBA.
Zusammenfassend wirft die GBA Albrecht damit mehrere Straftaten vor: Die Planung der Ermordung von Personen, die dazu führen könnten, Bestand und Sicherheit des Staates zu beeinträchtigen; den Besitz einer Pistole des französischen Herstellers M.A.P.F. sowie zwei weiterer Schusswaffen (einer weiteren Pistole vom Kaliber 7,65mm Browning und einem Sturmgewehr G3 der Marke Heckler&Koch), jeweils ohne dafür eine Erlaubnis zu besitzen; den Besitz von Munition und Sprengstoff, ohne die Erlaubnis hierfür zu besitzen; den Diebstahl von Munition und Sprengstoffen bei der Bundeswehr; den Betrug, sich fälschlicherweise als Asylbewerber ausgegeben zu haben und den Staat unter dieser fiktiven Identität um knapp 10.000€ betrogen zu haben. Alle dies habe er getan, um eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten.
Im Anschluss verlas die GBA noch eine Liste einzuziehender Waffen, Munition und Sprengstoffe, die bei Albrecht bzw. seinem Freund Mathias Fl. gefunden wurden. Darunter sind die Pistole des Herstellers M.A.P.F., die Albrecht am Flughafen in Wien deponierte, diverse Patronen unterschiedlicher Art für Kurzwaffen, Repetiergewehre und vollautomatische Sturmgewehre, sowie Patronengurte, Zündmittel, unterschiedliche Granaten und Sprengmittel. Insgesamt über 1000 Schuss unterschiedlicher Munition sowie über 50 Sprengkörper wurden in der Auflistung genannt.
Rechte Erzählungen der Verteidigung
Nachdem die GBA den Anklagesatz vorgetragen hatte, nutzte die Verteidigung die Möglichkeit, ein „Opening Statement“ zum Verfahren zu verlesen, das geprägt war von rechten Narrativen, Verschwörungsideologien und dem Versuch, Albrechts Rassismus und Antisemitismus durch echte und vermeintliche Bekanntschaften mit Juden*Jüdinnen und Migrant*innen zu leugnen.
Bereits vor Prozessbeginn hielt einer der Anwälte von Albrecht, der in Mainz sitzende Moritz Schmitt-Frick, laut Eigenangabe auf seiner Website ehemaliger Stipendiat der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, eine spontane Pressekonferenz, bei der er von einer „Hetzjagd“ gegen seinen Mandanten sprach und einen „Schlussstrich“ hierunter forderte. In dem von ihm und seinem Kollegen Rechtsanwalt Hock abwechselnd verlesenen Opening-Statement im Gerichtssaal, an dem Albrecht selbst wenige Momente vor dessen Verlesung noch handschriftliche Änderungen vornahm, setzte sich dieser Grundtenor fort, gepaart mit offen rechten Äußerungen über Migrant*innen, Presse und Behörden und der indirekten Legitimierung von Umsturzversuchen.
Schmitt-Frick begann seine Ausführungen zwar mit den Worten, dass sein Statement kein Debattenbeitrag zur Regierungspolitik sein solle, doch was folgte war genau dies: Ein Statement, das mehrheitlich aus in der (extremen) Rechten gängigen Erzählungen bestand und somit ab den ersten Sätzen klar machte, dass die Verteidigung von Albrecht eine politische Verteidigungsstrategie wählte, in der die Ansichten von Albrecht weitgehend reproduziert, die ihm vorgeworfenen Handlungen jedoch bagatellisiert werden sollen.
Franco Albrechts Rechtsanwalt begann wie die Mehrzahl rechter Erzählungen der letzten Jahre mit dem Zuzug von Geflüchteten seit 2015 und sprach in diesem Kontext von einem „Verlust der Glaubwürdigkeit unserer Verfassungsorgane“. Er implizierte damit indirekt die rechte und juristisch schwer haltbare Erzählung von einer rechtswidrigen Grenzöffnung 2015, welche die Realität dahingehend verdreht, dass eine außerordentliche Grenzschließung 2015 eher als Rechtsbruch anzusehen gewesen wäre. Sicherheitsbedenken seien zur Seite gewischt worden und in Innenstädten herrsche seitdem ein „hetzerischer Ton“, so Schmitt-Fricke. Dieser benutzte hier das in rechten Erzählungen oft genutzte Wort „Innenstadt“ als Chiffre für durch Migration mitgeprägte Großstädte und machte Migrant*innen als Sündenböcke verantwortlich für vermeintliche Fehlentwicklungen.
Seinen Mandanten Franco Albrecht stellte Schmitt-Frick als Opfer dar, dass von der Generalbundesanwaltschaft „schikaniert“ wurde, da er die erste Woche der U-Haft in Einzelhaft verbracht habe. Er versuchte zudem die GBA zu delegitimieren und bezeichnete sie als „politische Windmaschine“. Damit sprach er der GBA und dem Prozess als Ganzem die juristische Bedeutung ab. Somit versuchte er, die Anklagevorwürfe zu bagatellisieren und als politisch motivierte Kampagne gegen seinen Mandanten darzustellen, der offen gelegt habe, wie die Regierung angeblich die Kontrolle über das Staatsgebiet aufgegeben und sich an seinem als Soldaten geschworenen Eid orientiert habe. Darauf folgten Angriffe gegen Medien und indirekt erneut gegen die GBA: Prozessbeteiligte hätten Gerichtsunterlagen und -details an Medien weitergegeben. Der Presse gehe es dabei nur darum, „sich die Taschen voll zu machen““.
Entsprechend der Selbstinszenierung vieler rechter Akteur*innen als ‚Stimme der schweigenden Mehrheit‘ nutzte Schmitt-Fricke Umfragen, die aktuell ganz allgemein für einen Regierungswechsel seien, als Bestätigung dessen, dass Albrechts Positionen „nicht nur bei den Rändern“ der Gesellschaft anzutreffen sei. Um dies zu untermauern, wurden zahlreiche kurze Sätze ohne jeweiligen Kontext der Aussage zitiert, vornehmlich von Richtern, Staatsanwälten und anderen Juristen, darunter den ehemaligen Vorsitzenden des deutschen Richterbunds Jens Gniesa und den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Die Zitate handelten alle von einem angeblichen Versagen oder einer Krise des Rechtsstaats, von „Kriminellen, die in Land gelassen wurden“ oder von der vor allem bei rechten Männern verbreiteten Angst vor einem Zuzug von „jungen Männern“ aus dem Ausland. Ironischerweise wurde auch der grüne Oberbürgermeister von Tübingen Boris Palmer als Leumundszeuge zitiert, obwohl gerade dieser seit langem in der Kritik steht, weil er mit rassistischen Aussagen immer wieder auf sich aufmerksam macht. Die Wahl der zitierten Personen machte nicht nur an dieser Stelle stutzig.
Alte Bekanntschaften sollen Albrecht von Rassismus und Antisemitismus freisprechen
Im zweiten Teil des „Opening Statements“ von Albrechts Verteidigern setzten diese das Zitieren von vermeintlich Leumundszeug*innen fort: Zitate von knapp 40 verschiedene Zeug*innen aus Albrechts Leben sollten den Eindruck erwecken, dass Albrecht „weltoffen“ und kein Rassist oder Antisemit sei. Hierfür wurden alle möglichen Personen aus Albrechts aktuellem oder auch längst vergangenem Umfeld herangezogen, von Familienangehörigen, Bundeswehrsoldat*innen, Freund*innen und Bekannten aus Jugendzeiten, bis hin zu Lehrer*innen und Mitschüler*innen (teils noch aus der Mittelstufe) und einer ehemaligen Bankberaterin von Albrecht. Alle wurden mit Aussagen zitiert, dass sie sich solch eine Tat von Albrecht nicht vorstellen könnten, sondern dass er „weltoffen“, „neugierig“ oder „ein Sammler“ sei. Um ihn von Antisemitismus und Rassismus frei zu sprechen wurden ein jüdischer Bundeswehrsoldat, türkische Mitschüler*innen und türkische vermeintliche Jugendfreund*innen aufgeführt, die bei Albrecht keine extrem rechten Einstellungen bemerkt hätten.
Gerade das Zitieren letzterer ist besonders perfide in der absurden Auflistung von Personen, mit denen Albrecht seit teils über 15 Jahren keinen Kontakt hatte. Es entspricht dem altbekannten Rechtefertigungsargument „Ich kann kein Nazi sein, ich habe jüdische/türkische Freunde“, das eine beliebte Alltags-Rechtfertigungsstrategie von Personen darstellt, die mit rassistischen oder antisemitischen Aussagen auffallen. Abgesehen davon, dass es wenig über Albrechts aktuelle Ideologie aussagt, dass er vor 15 Jahren ein gutes Verhältnis zu türkischen Mitschüler*innen gepflegt haben soll, wird dabei außer Acht gelassen, dass Rassismus und Antisemitismus nicht rational sind. Der Hass auf Jüdinnen*Juden und nicht-Weiße im Allgemeinen steht nur scheinbar im Widerspruch dazu, mit Einzelnen aus dieses Gruppen (als vermeintliche Ausnahmen, die trotz ihrer zugeschriebenen Herkunft anständig seien) ein gutes Verhältnis zu haben. Dies ist bei Nazis seit jeher Alltag, schmälert aber nicht die rassistische oder antisemitische Ideologie dahinter.
Mit ihrem „Opening-Statement“ versuchte Albrechts Verteidigung, einen Großteil der politischen Einstellungen Albrechts nicht zu leugnen sondern im Gegenteil diese noch zu reproduzieren, sie allerdings zugleich als nicht ‚rechtsextrem‘ sondern als ‚aus der Mitte der Gesellschaft‘ darzustellen. Diese Strategie überrascht. Schließlich bezweifelt niemand, dass rechte Einstellungen auch in der ‚Mitte der Gesellschaft‘ vorhanden sind. Dies schließt jedoch nicht aus, dass sie in extrem rechten Kreisen als Motiv für rechten Terror dienen, wie es Albrecht vorgeworfen wird.
Emailverkehr zwischen Albrecht und Bundeswehr-Rechtsberater
Nach dem Statement von Albrechts Verteidigung wurde zum Einstieg in die Beweisaufnahme ein Emailverkehr zwischen Albrecht und Stefan H., Rechtsberater bei der Bundeswehr, von Februar 2017 verlesen. Dieser war 2013/2014 mit dem Vorgang zu Albrechts Masterarbeit betraut und habe diesem laut Albrecht damals angeboten, sich bei zukünftigen Schwierigkeiten bei ihm zu melden. Vor diesem Hintergrund schrieb Albrecht ihm nach seiner Verhaftung in Wien in 2017 eine E-Mail und bat ihn, seine Schilderungen im Anhang von außen zu beurteilen.
Im Anhang schilderte Albrecht seine bekannte Version, wie er seiner Darstellung nach an die Pistole gelangte, die er auf dem Wiener Flughafen versteckte: Er habe mit einem weiteren Oberleutnant auf Einladung eines dort lebenden ehemaligen Bundeswehrsoldaten den „Ball der Offiziere“ in Wien besucht. Am nächsten Abend besuchten sie ein Café und tranken weiter. Gegen 21 Uhr sei er zum urinieren in ein Gebüsch getreten und habe dort die Waffe gesehen und eingesteckt, dies allerdings sofort vergessen. Erst bei der Abreise am nächsten Tag direkt vor der Taschenkontrolle am Flughafen sei sie ihm wieder eingefallen, deswegen habe er sie auf der Toilette versteckt. Nach Rücksprache mit dem anderen Oberleutnant sei er einige Tage später wieder nach Wien gefahren und wollte die Pistole aus dem Versteck holen um sie der Polizei zu übergeben, sei dabei aber verhaftet worden.
In der knappen Antwort von Stefan H. riet dieser Albrecht, dessen Ausführungen so zu lassen wie sie sind, damit sie möglichst authentisch sind. Allerdings merkte er an, dass die Geschichte sehr „abenteuerlich“ sei und Albrecht Fehler begangen habe, nach dem Waffenfund nicht direkt hierüber zu informieren.
Anschließend kündigte das Gericht an, dass die Verhandlungstage oft mittags enden werden, da das Gericht noch mit einem anderen Prozess parallel beschäftigt sei. Damit endete der erste Verhandlungstag.