Der 33. Prozesstag war von zwei Themenkomplexen geprägt: den von der Verteidigung von Ernst geladenen Zeug*innen zum Fall Ahmed I. und der Aussage von Daniel Zabel, der für Ernsts ehemaligen Verteidiger Hannig gearbeitet hatte. Zabel sollte Auskunft darüber geben, welche Tatversion unter welchen Umständen zustande kam, da Frank Hannig seine Aussage dazu verweigert.
Zu Beginn des Prozesstages resümierten sowohl der Verteidiger von Stephan Ernst, Mustafa Kaplan, als auch Alexander Hoffmann als Vertreter von Ahmed I. die Aussagen der Zeug*innen des letzten Prozesstages. Hoffmann verwies auf die Umstände der Vernehmungen von Ahmed I., die von der Polizei im Krankenhaus direkt nach der Operation mit einer Dolmetscherin durchgeführt worden waren, mit der es Verständigungsprobleme gab. Er führte weiterhin aus, dass die Videoaufnahmen zeigten, dass der Radfahrer ausreichend Zeit hatte, zur Unterkunft zu fahren, jemanden von dort ausgehend zu verfolgen und anzugreifen. Die Verteidigung von Ernst hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass Ahmed I. von hinten mit der Kapuze seiner Jacke auf dem Kopf nicht als Geflüchteter erkennbar gewesen sein könne und daher auch kein rassistisches Motiv in Betracht käme. Weiterhin versuchten die Verteidiger von Ernst weiter, die Glaubhaftigkeit von Ahmed I. anzugreifen, in dem sie infrage stellten, ob seine Angaben zu seiner Muttersprache richtig seien.
Richter Sagebiel berichtete über den Stand seiner Recherchen zu einer Personenkontrolle am 06.01.2016, die sich in den Akten der zuständigen Sonderkommission wiederfindet. Die Verteidigung von Ernst hatte beantragt, den Beamten zu vernehmen, der einen Vermerk über die Kontrolle von drei Personen im Einzugsgebiet des Tatorts gefertigt hatte. Bei der Kontrolle wurde ein Messer festgestellt. Allerdings konnte der Beamte keine Angaben zur Kontrolle machen. Diese sei von einem SEK-Beamten durchgeführt worden, der nur vermummt vernommen werden möchte. Das Gericht beschloss, seine Ladung zu prüfen.
Weiterhin wurde auf Antrag der Verteidigung Hartmann eine Mitteilung der Stadt Kassel an das hessische Innenministerium verlesen, die den Vorgang rund um Hartmanns Waffenbesitzkarte nachzeichnete. Hartmann hatte 2007 einen Antrag auf eine Waffenbesitzkarte gestellt, der von der Stadt Kassel wegen seiner politischen Aktivitäten abgelehnt wurde. In 2012 stellte er einen neuen Antrag, der erneut abgelehnt wurde. Er klagte gegen den Bescheid; das Gericht erfragte beim hessischen Geheimdienst nach Informationen zu Hartmanns politischer Tätigkeit. Das hessische LfV gab an, keine Erkenntnisse mehr zu ihm zu haben, sodass die Stadt Kassel ihre Ablehnung zurück nahm. Bei einer Kontrolle im Jahr 2019 gab es nichts zu beanstanden. Hartmann besäße keine Waffenhändlererlaubnis und habe sechs Lang- und drei Kurzwaffen auf seiner Karte eingetragen.
Im Anschluss wurden die Zeug*innen vernommen, die die Verteidigung von Stephan Ernst laden lassen wollte. Es handelt sich um ein Paar, das für Ahmed I. am Tatort den Krankenwagen gerufen hatte. Beide gaben in ihren Vernehmungen in 2016 an, die Worte „keine Polizei“ oder auch „no police“ gehört zu haben. Kaplan versuchte diese Aussagen zu nutzen, um weiter Zweifel an Ahmed I. zu streuen, da es „ein natürlicher Reflex sei, die Polizei zu rufen“. Beide Zeug*innen konnten sich nicht daran erinnern, so etwas gehört und eine Aussage dazu gemacht zu haben und verwiesen auf die lange Zeit, die seither vergangen war. Die vermeintliche Äußerung konnte also nicht kontextualisiert oder einer Person zugeordnet werden. So resümierte auch Hoffmann, dass Kaplans Schluss, Ahmed I. habe die Aussage getätigt, „an den Haaren herbei gezogen“ sei.
Die folgenden Prozessstunden widmeten sich Fragen um das Messer, das bei Stephan Ernst gefunden wurde und das als Tatwaffe für den Angriff auf Ahmed I. in Betracht kommt. Auf einem USB-Stick mit Rechnungen, die Ernst eingescannt hatte, wurde eine Quittung für ein Messer gefunden, die auf zwei Wochen nach der Tat datiert ist. Ausgestellt ist die Quittung für ein Messer aus der Serie „MP 9“. Zunächst wurde ein Gutachten über die Auswertung des USB-Sticks verlesen, anschließend wurden die Besitzer des Schneidwarengeschäfts aus Kassel befragt, die die Quittung ausgestellt hatten.
Diese bestätigten die Echtheit der Quittung, sowie, dass sie Messer der Serie im Angebot hatten. Sie konnten sich aber nicht an Ernst als Kunden erinnern. Auch gab der Ladenbesitzer an, die Manipulation an der Klinge, das Schärfen beider Seiten der Messerspitze, sei nicht in seinem Geschäft vorgenommen worden. Sie verwiesen auf eine Mitarbeiterin, die zu der Zeit im Laden ausgeholfen hatte. Der Senat beschloss, die Mitarbeiterin zu laden. Staatsanwalt Killmer sowie Nebenklagevertreter Hoffmann machten deutlich, dass es sich um eine Quittung für einen beliebigen Messerkauf habe handeln können und damit nicht widerlegt sei, dass es sich bei dem Messer aus Ernsts Keller um die Tatwaffe handeln könne.
Als letzter Zeuge des Tages wurde Daniel Zabel vernommen, der als Mitarbeiter von Ernsts ehemaligem Verteidiger Hannig gearbeitet hatte. Der AfD-Politiker war in die Öffentlichkeit gekommen, weil er als Justizbeamter einen Haftbefehl geleakt hatte sowie eines Übergriffs an einem Gefangenen beschuldigt und vom Dienst suspendiert worden war. Zabel war von der Polizei in Istha kontrolliert worden, als er Aufnahmen vom Haus der Familie Lübcke und der Umgebung machte. Zabel gab an, Hannig bei den Recherchen unterstützt sowie Fahrdienste für ihn gemacht zu haben. Er gab an, dass Ernst Markus Hartmann im Laufe der Gespräche zwischen ihm und Hannig immer mehr ins Zentrum gerückt habe und er Hannig gegenüber nach dem dritten oder vierten Besuch die Tatversion mit Hartmann eigenständig berichtet habe. Dies steht im Widerspruch zu den Aussagen Ernsts, der angibt, Hannig habe sich die Version ausgedacht. Viel zur Klärung des Verhältnisses zwischen Ernst und Hannig konnte Zabel nicht beitragen.
Abschließend gab Ernst über seinen Anwalt Mustafa Kaplan an, die Fragen von Frau Braun-Lübcke, die sie bei ihrer Aussage aufgeworfen hatte, beantworten zu wollen.