Am 18. Prozesstag im Verfahren gegen Stephan Ernst und Markus Hartmann wurden ein ehemaliger Verteidiger von Stephan Ernst und zwei Sachverständige des BKA befragt. Der Rechtsanwalt Bernd Pfläging wurde zu dem Zustandekommen der ersten beiden Aussagen von Stephan Ernst und dem Einfluss von dessen ehemaligen Verteidigern hierauf befragt. Letztere gaben Auskunft zu Schmauchspuren und der verwendeten Schusswaffe.
Zuerst sagte der Rechtsanwalt Bernd Pfläging aus Kassel aus. Pfläging vertrat Stephan Ernst als Anwalt zwischen September 2019 und März 2020. Geladen war er, um zu den Rollen von Ernsts vorherigem Anwalt Dirk Waldschmidt und seinem inzwischen ebenfalls entlassenen Anwalt Frank Hannig auszusagen. Hierfür wurde er von Ernst in Teilen von seiner Schweigepflicht entbunden. Die Beauftragung von Waldschmidt als Ernsts Anwalt sei nicht von Ernst ausgegangen, sondern von Waldschmidt initiiert worden, erwähnte der vorsitzende Richter Thomas Sagebiel in dem Zusammenhang. Pfläging sagte aus, Ernst habe ihm gegenüber gesagt, dass Dirk Waldschmidt „schuld“ sei an seinem erstem Geständnis. Außerdem habe Ernst gesagt, dass Waldschmidt ihm finanzielle Unterstützung durch „Kameraden“ angeboten habe, sollte er Hartmann „aus der Geschichte rauslassen“. Pfläging erwähnte in diesem Zusammenhang die „Nationale Gefangenenhilfe“. Auf Nachfrage vom Senat konnte Pfläging aber nicht mehr zweifelsfrei sagen, ob dies tatsächlich im Gespräch mit Ernst gefallen sei. Sicher konnte er nur sagen, dass der Tenor aus seinem Gespräch mit Ernst war, dass dessen erster Verteidiger Dirk Waldschmidt laut Ernst Schuld an dem ersten Geständnis gewesen sei.
Des Weiteren sagte Pfläging zu Ernsts zweiter Aussage von Anfang 2020 aus: Dieses sei laut Ernst von dessen damaligem Anwalt Frank Hannig vorformuliert gewesen. Hannig hätte Pfläging gegenüber die neue Aussage als „Knaller“ angekündigt und eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld lanciert, sei aber ihm gegenüber nicht ins Detail gegangen. Ziel von Hannig sei es gewesen, damit eine Aussage-gegen-Aussage-Situation zwischen Ernst und Hartmann zu bewirken. Pfläging sagte aus, er hätte dies für eine schlechte Idee gehalten und Ernst davon abgeraten, der unsicher bezüglich dieses Plans gewesen sei. Pfläging sagte weiter, er habe dies für einen „juristischen Blindflug“ gehalten.
Im Anschluss gaben beide Verteidigungen und ein Nebenklagevertreter Erklärungen zur Aussage von Holger M. im 17. Prozesstag ab. M. war ein Arbeitskollege von Ernst und Hartmann und hatte zu Ernst auch mindestens vereinzelte private Kontakte. Die Verteidigung von Stephan Ernst stellte die Aussage von Holger M. so dar, dass sie zeige, dass Ernst Nazi-Ideologie kein Thema mehr gewesen sei, weil die Themen „Ausländerkriminalität“ und „Ausländerhass“ im Vordergrund gestanden hätten. Außerdem hätte Holger M. das Bild von Ernst als dem „Macher“ und Hartmann als dem „Denker“ bestätigt. Die Verteidigung von Hartmann stellte die Aussage von M. als Beleg für das genaue Gegenteil dar: Die Aussage hätte gezeigt, dass Ernst ein „politischer Aktivist erster Ordnung“ sei, der andere agitiert hätte und niemanden gebraucht hätte, der ihn radikalisierte. Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, Vertreter des Nebenklägers Ahmed I., sah in der Aussage von Holger M. einen weiteren Hinweis auf den Angriff auf seinen Mandanten. Ernst habe laut Holger M. ihm gegenüber von einem Vorfall auf einem Fahrradweg erzählt, bei dem er jemanden angegriffen hätte. Die Version, wie Ernst sie erzähle, könne so nicht stimmen, verweise aber auf den Mordversuch an seinen Mandanten am 6. Januar 2016, so Hoffmann. Hoffmann verwies auf das offenbare Bedürfnis von Ernst, seinem Umfeld von seinen Taten zu erzählen. Aus Angst vor Entdeckung habe er hier zwar eine Tarnversion erzählt, dies sei ein weiteres Indiz, das zur Verurteilung von Ernst wegen des Angriffs auf I. führen werde, so Hoffmann.
Im Anschluss daran waren zwei kriminaltechnische Sachverständige des Bundeskriminalamts (BKA) geladen, die Untersuchungen zu der verwendeten Waffe und Schmauchspuren im Zusammenhang mit dem Tod von Walter Lübcke vorgenommen haben. Der erste Sachverständige Ludwig N. erklärte, wie er aufgrund der Schmauchspuren zu dem Ergebnis kam, dass der Schuss auf Walter Lübcke aus einer Entfernung von einem bis eineinhalb Meter Entfernung abgegeben wurde. Außerdem erläuterte er, wo sich in Ernsts Auto ebenfalls Schmauchspuren befanden – am Lenkrad und auf Decken im Kofferraum – , dass diese aber beispielsweise zeitlich nicht genauer zugeordnet werden konnten. Der zweite Sachverständige Klaus H. berichtete über seine Ermittlungen und wie er zu dem Ergebnis kam, dass die mutmaßliche Tatwaffe, ein Revolver der Marke Rossi, zu der Ernst die Ermittler*innen geführt hatte, tatsächlich die Tatwaffe des Mordes an Walter Lübcke war. Damit endete der 18. Prozesstag.