Oberflächliche Befragung und eklatante Widersprüche

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NSU Watch veröffentlicht eine Auswertung der ersten Zeugenbefragung im Untersuchungsausschuss

Am 26.02.2016 wurden im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss mit Benjamin Gärtner  und Michel Friedrich zum ersten Mal Zeugen aus der rechten Szene zu den Umständen des Mordes an Halit Yozgat befragt, weitere sollen ab Mitte März folgen. NSU Watch Hessen hat die Befragung beobachtet und zeigt sich wieder einmal vom Ausschuss enttäuscht. Viele Aussagen der Zeugen wurden durch den Ausschuss nicht kommentiert. „Der Ausschuss hat es versäumt, an entscheidenden Stellen kritisch und tiefgehend nachzufragen“, meint Sarah Müller, Pressesprecherin von NSU Watch Hessen. „Die beiden Zeugen konnten sich als unpolitische Mitläufer inszenieren, obschon sie in Strukturen aktiv waren, in denen menschenverachtende Gewalt und eine völkisch-nationale und rassistische Ideologie auf der Tagesordnung standen. Weder die Kameradschaft Kassel noch die Oidoxie Streetfighting Crew waren ein Musik-, Trink- und Grillverein.“

Befragung Benjamin Gärtner
Während der Befragung traten eklatante Widersprüche auf, die durch die Abgeordneten nicht angemessen erörtert wurden. Benjamin Gärtner gab im Ausschuss an, nur bis Anfang der 2000er Jahre in der Kameradschaft Kassel aktiv gewesen zu sein. Dabei wurde noch 2005 ein Foto von ihm geschossen, das ihn mit führenden Kasseler und Dortmunder Neonazis auf einer rechten Demonstration in Göttingen zeigt. Schon dieser Umstand zeigt, dass Aussagen von rechten Zeugen nicht ohne Weiteres geglaubt werden sollte. Die Abgeordneten ließen es aber vermissen, die späteren politischen Aktivitäten von Gärtner umfangreich zu thematisieren. Auch erklärte Gärtner, die Deutsche Partei nicht zu kennen, auf die er angeblich als V-Mann angesetzt war. Mit dieser Aussage ist nicht nur die Glaubhaftigkeit von Andreas Temme in Frage gestellt, auch viele andere Mitarbeiter des Verfassungsschutzes hatten die DP als Beobachtungsobjekt im Ausschuss benannt, darunter Dr. Iris Pilling (Leiterin der Abteilung Beschaffung). Überhaupt nicht im Ausschuss thematisiert wurde die Frage, ob Gärtner eine CD von einem Konzert in Kassel besessen hat, auf dem  angeblich Mitglieder des NSU zu sehen seien. Auch wenn diese Spur in der Öffentlichkeit in Zweifel gezogen und mit einem Konzert in Greven (NRW) in Verbindung gebracht wurde, hätte der Ausschuss zwingend nachfragen müssen. Ebenso erstaunlich ist, dass die Abgeordneten es nicht für nötig hielten, Gärtner die Frage zu stellen, was er am 06.04.2006 (dem Todestag von Halit Yozgat) gemacht hat. Er wurde lediglich zu seinen Telefonaten mit Temme gefragt.

Benjamin Gärtner (mittig im blauen Pullover) auf dem Naziaufmarsch in Göttingen am 29.10.2005 Quelle: Apabiz e.V.

Benjamin Gärtner (mittig im blauen Pullover) auf dem Naziaufmarsch in Göttingen am 29.10.2005
Quelle: Apabiz e.V.

Befragung Michel Friedrich
Auch die Befragung von Michel Friedrich zeigte, dass der Ausschusses die Widersprüche in den Aussagen der Zeugen nicht ausreichend hinterfragte. Friedrich gab im Ausschuss an, er sei aus der rechten Szene ausgestiegen. Die Abgeordneten fragten daraufhin nicht, über welches Aussteigerprogramm Friedrich angeblich ausgestiegen sei
oder anhand welcher Kriterien er den Ausstieg anderweitig belegen könne. Ebenso wurde Friedrich im Untersuchungsausschuss ein Foto der Oidoxie Streetfighting Crew vorgehalten, das in der Zeitschrift Lotta veröffentlicht wurde. Jedoch hielt es der Ausschuss offenbar nicht weiter für nötig, Friedrich darauf hinzuweisen, dass auch er selbst auf dem Foto zu sehen ist oder anhand des Fotos Personen zu identifizieren. Friedrich gab weiterhin an, dass sein letztes rechtes Konzert, das er besucht habe, 2010 in Eschede stattgefunden habe. Er sei bei diesem Konzert bedroht worden. Doch 2012 sagte er gegenüber der Polizei aus, er sei noch 2011 auf einem Konzert in Duderstadt gewesen. Auch unangemessene Witze von Friedrich wurden seitens des Ausschussvorsitzenden Honka nicht sanktioniert, im Gegenteil wünschte er Friedrich „alles gute für das weitere Leben“.

Schutz der NPD-Veranstaltung am 22.08.2002 in Kassel: v.l.n.r: Christian Wenzel, Maik Sawallich, Michel Friedrich Quelle: apabiz e.V.

Schutz der NPD-Veranstaltung am 22.08.2002 in Kassel: v.l.n.r: Christian Wenzel, Maik Sawallich,
Michel Friedrich Quelle: apabiz e.V.

Gruppenbild der Oidoxie Streetfighitng Crew: 1. reihe 2. v.l.: Michel Friedrich; mittig Robin Schmiemann, dahinter 2. Reihe mittig: Danyel Huth; letzte Reihe 2.v.r. Sebastian Seemann Quelle: Lotta

Gruppenbild der Oidoxie Streetfighitng Crew: 1. reihe 2. v.l.: Michel Friedrich; mittig Robin
Schmiemann, dahinter 2. Reihe mittig: Danyel Huth; letzte Reihe 2.v.r. Sebastian Seemann
Quelle: Lotta

Die von uns aufgezählten Widersprüche sind nur kleiner Ausschnitt und zeigen, dass mit informierten Nachfragen, noch mehr aus der Befragung der Zeugen herauszuholen gewesen wäre. „Für die nächsten Ausschusssitzungen müssen die Abgeordneten sich überlegen, wie sie die Zeugen aus der rechten Szene noch stärker in Bedrängnis bringen können“, findet Sarah Müller. „Sonst besteht die Gefahr, dass weiterhin der falsche Eindruck bestehen bleibt, bei Neonazis ginge es nur ums Saufen, Grillen und manchmal darum, den rechten Arm zum Gruß zu heben.“

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