Selbstverständnis

öz anlayış

Als im Frühjahr 2014 absehbar wurde, dass der hessische Landtag gegen den erklärten Willen der schwarz-grünen Landesregierung einen eigenen Untersuchungsausschuss zur Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) einsetzen würde, hat sich eine Gruppe von Menschen aus unterschiedlichen politischen Kontexten zum Projekt „NSU-Watch Hessen“ zusammengeschlossen. Wir sind davon überzeugt, dass eine unabhängige Beobachtung des Geschehens in dem Ausschuss eine politische Notwendigkeit ist. Wie die Abläufe in anderen Untersuchungsausschüssen zum NSU-Komplex gezeigt haben, lässt die Aufmerksamkeit der Medien oft schon nach kurzer Zeit nach oder richtet sich auf besonders spektakuläre Aussagen einzelner Zeug_innen. Wir finden es dagegen wichtig, sämtliche Vorgänge im Untersuchungsausschuss möglichst umfassend zu dokumentieren, um eine weitere Aufklärung der Ereignisse rund um den Terrorismus des NSU möglich zu machen.

Unser Hauptaugenmerk werden wir daher auf eine kontinuierliche und transparente Protokollierung der Zeug_innenaussagen und Verhandlungen im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss legen. Unser Ziel ist es, Protokolle aller Sitzungen auf unseren Blog für die Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen – sowohl in deutscher als auch in türkischer Sprache. Außerdem wollen wir mit Interviews und eigenen Analysen dazu beitragen, die Zusammenhänge im NSU-Komplex, vor allem soweit sie einen Bezug zu Hessen haben, besser verständlich zu machen. Hessen sticht im NSU-Komplex aus mehreren Gründen heraus: Der Mord an Halit Yozgat, der 2006 in seinem Kasseler Internetcafé erschossen wurde, ist der letzte bisher bekannte Mord aus der rassistischen NSU-Mordserie – noch gibt es nur Spekulationen dazu, warum die Serie danach abbrach. Zudem waren es hessische Beamte, die nach 1989 die Verwaltung und die Geheimdienste in Thüringen – dem Ursprungsland des NSU – aufgebaut haben. Außerdem ist bisher ungeklärt, warum Andreas Temme, ein hauptamtlicher Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, zum Zeitpunkt des Mordes an Yozgat am Tatort war – was die Frage nach der Rolle des Geheimdienstes in der Mordserie aufwirft.

Neben der journalistischen Aufgabe, das Ausschussgeschehen zu dokumentieren, versteht sich NSU-Watch Hessen auch als politisches Projekt, das nicht nur aufklären, sondern sich auch einmischen will. Wir stammen aus unterschiedlichen antirassistischen und antifaschistischen Zusammenhängen und vermissen in der öffentlichen Debatte um den NSU die Einordnung der Mordserie in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Der NSU-Komplex steht für ein komplettes Versagen einer ganzen Reihe staatlicher Institutionen im Kernbereich ihrer eigentlichen Aufgabe. Ohne den institutionellen Rassismus in Ermittlungsbehörden, Öffentlichkeit und allen anderen Teilen der deutschen Gesellschaft wären die Morde des NSU und ihre jahrelange Nichtbeachtung nicht möglich gewesen. Wir werden uns daher bemühen, die gesamtgesellschaftlichen Hintergründe in den Blick zu rücken und auch die Fragen zu stellen, die anderswo nicht aufgeworfen werden – etwa die Frage nach Kontakten des NSU in die hessische Neonaziszene und die Bedeutung seines Unterstützungsumfelds.

NSU-Watch Hessen ist ein personell, finanziell, politisch und organisatorisch unabhängiges Projekt. Wir finanzieren uns über Spenden und arbeiten ehrenamtlich.