Bericht zur 42. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag (15.09.2017)

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In der Sitzung vom 15.09.2017 waren zwei Polizisten sowie eine Aktivistin aus der rechten Szene geladen.

Zuerst wurde mit Werner J. ein Beamter des BKA befragt, der bis Anfang 2010 stellv. Leiter der Ermittlungsgruppe Ceska war. Die Ehefrau des Zeugen war 2006 Mitarbeiterin beim Landesamt für Verfassungsschutz Hessen. Über sie wurde ein Kontakt in das hessische Amt hergestellt, um die Ceska-Mordserie zu besprechen. Laut dem Zeugen sollte es sich in dem Gespräch vorrangig darum drehen, wie andere Behörden V-Personen führen. Für den Zeugen stellte dieses Gespräch keinen Verstoß gegen das Trennungsgebot dar, obschon Polizei und Geheimdienste in Deutschland nur unter sehr engen Voraussetzungen miteinander kooperieren dürfen. Das Treffen fand zugleich informell statt und die jeweiligen Hausspitzen wurden nicht informiert. Auf die Frage im Ausschuss, wie er damit umgegangen ist, dass mit Andreas Temme ein Mitarbeiter des LfV unter Mordverdacht stand, sagte der Zeuge, er hätte sich nicht vorstellen können, dass ein Mitarbeiter, der unter ständiger Beobachtung sei, in der Republik umherreisen könnte, um Morde zu begehen. Der Zeuge J. gab bei seiner Befragung ebenfalls an, dass das BKA damals vorrangig nach türkischen Waffenkäufern gesucht hatte. Weil man es vielen Ceskas im Umlauf zu tun hatte, wollte man dadurch den Suchauftrag beschränken. Zudem war der Mordkomplex in Rostock kurz ein Thema im Ausschuss. Der Zeuge sagte, dass das BKA kurzzeitig eine Telefonüberwachung bei dem Dönerstand in Rostock nach dem Mord durchführte.

Als zweiter Zeuge wurde mit Gerhard F. ein Beamter des Polizeipräsidiums München geladen. Er arbeitete in der BAO Bosporus. Der Zeuge hatte damals einen 19seitigen Bericht zum Ablauf im Café erstellt. Dabei wurden Akten, Mobilfunkverbindungen sowie Zeugenaussagen der im Café verbindlichen Personen ausgewertet. F. gab an, er habe sich bei seinem Bericht insbesondere auf die Aussage eines Zeugen gestützt, um das Zeitfenster zu bestimmen, in welchem Temme möglicherweise von dem Mord Kenntnis erhalten haben könnte. F. sagte, er ginge davon aus, dass Temme etwas von dem Mord mitbekommen haben müsste. Auf den Vorhalt des Ausschusses hin, dass der zentrale Zeuge zur Rekonstruktion der Zeitabläufe, später gegenüber der Polizei sagte, sein Erinnerungsvermögen sei nicht gut gewesen, meinte der Zeuge F., dass dies seinen Bericht in Frage stellen würde. Dies habe nämlich zur Folge, dass der Zeitraum, zwischen dem sich Temme von seinem PC ausgeloggt hat und wann der Mord passierte, auf mindestens drei Minuten vergrößern würde.

Als letzte Zeugin wurde Corryna Goertz geladen. Ihre Befragung stellte sich als äußerst interessant heraus. Sie ist sowohl innerhalb der hessischen als auch der thüringischen rechten Szene gut vernetzt. Das LKA Thüringen erstellte 1997 eine Liste mit rechtsextremen Gewalttäter*innen, auf der nur zwei Frauen standen: Beate Zschäpe und Corryna Goertz. Sie war aktiv in der Wiking Jugend, der HNG und in der Nationalistischen Front. Gegenüber dem Ausschuss versuchte Goertz. ihre eigenständige Rolle in der rechten Szene herunterzuspielen. Sie verwies stets darauf, dass sie nur über ihren damaligen Lebensgefährten Dirk Winkel. in der Szene aktiv gewesen sei. Dabei wurde ihr vom Ausschuss aber vorgehalten, dass im Rahmen einer Polizeidurchsuchung in ihrer gemeinsamen Wohnung nicht nur Teleskopschlagstöcke, sondern sogar eine Panzerfaust entdeckt wurde. Während ihrer Zeit in der rechten Szene hatte sie auch Kontakt zu Michael S., der als V-Mann „Tarif“ vom Bundesverfassungsschutz geführt wurde sowie mit dem bekannten Rechtsterroristen Thorsten Heise. Goertz. sagte, sie sei bereits 2003 aus der rechten Szene ausgestiegen. Jedoch wurde ihr im Ausschuss vorgehalten, bei einem Konzert in Roßleben mit einschlägigen rechten Bands (darunter Kinderzimmerterroristen & Bloodline) im Jahr 2009 die Ansprechperson für die Polizei gewesen zu sein. Die Zeugin meinte, es habe sich nur um eine private Geburtstagsfeier gehandelt. Ihr wurde aber vorgehalten, dass sich damals 70 Neonazis vor der Polizei verbarrikadiert hatten.
Die Zeugin lebte von 1993 bis 1998 und dann erneut von 2003 bis 2006 in Hessen. Während des letzten Zeitraums befand sie sich zur Verbüßung einer Haftstrafe in der JVA Baunatal, in der Nähe von Kassel. Als ein Abgeordneter des Ausschusses sie fragte, ob sie jemals im Internet-Café von Halit Yozgat gewesen sei, bejahte die Zeugin dies. Sie habe das Café zwischen 2005 bis März 2006 ein paar mal besucht, weil im Gefängnis gesagt wurde, dort könne man günstig und einfach „Musik herunterladen.“ Außerdem sagte sie, das Café sei nahe an der JVA gewesen. Dies wurde im Ausschuss in Frage gestellt, weil mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens 45 Minuten zwischen der JVA und dem Café zu bewältigen sind. Die von der Zeugin genannten Zeitangaben stimmten demnach nicht.
Auf die Frage hin, ob sie schon mal Kontakt mit staatlichen Stellen gehabt hätte, sagte die Zeugin, sie wolle von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen. Zumindest kam heraus, dass Goertz in Österreich wohl von einem Geheimdienst angesprochen wurde, als sie dort ab 2000 lebte. Auch habe 1996 bei der Polizei in Niedersachsen ein Gespräch stattgefunden. Goertz. ging aber davon aus, dass sie dort vom Verfassungsschutz befragt wurde.
Aufgrund der Aussage von Corryna G. beschloss der hessische Landtag nur wenige Tage danach den Hinweisen auf ihre Anwesenheit im Internetcafé nachzugehen und ihre damalige Zellengenossin vor den Ausschuss zu laden.

Nachtrag: Zwischen den Ausschusssitzung entbrannte ein, auch öffentlich geführter Streit, zwischen der investigativen Forschergruppe Forensic Architecture und der CDU Hessen über die Frage, ob das Gutachten von FA kriminologischen und wissenschaftlichen Standards entspricht und der Hergang im Internet-Café richtig rekonstruiert wurde. In der Frankfurter Rundschau wurde der Konflikt zusammenfassend dargestellt.

 

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