Bericht zur 19. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag (01.02.2016)

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Zur 19. öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses wurden
Hans-Joachim Muth, Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz
(LfV) Hessen, sowie Heinz Fromm, ehemaliger Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz (BfV), vorgeladen. Die dritte Zeugin Jutta E.,
ebenfalls vom LfV Hessen, ließ sich krankheitsbedingt entschuldigen. Im
Fokus beider Befragungen stand Andreas Temmes Verhalten zum Zeitpunkt
und im Anschluss an den Mord an Halit Yozgat, die vom damaligen
Innenminister Volker Bouffier festgesetzte Sperrklausel im Bezug auf die
polizeiliche Befragung von Temmes V-Leuten sowie die damalige
geheimdienstliche Arbeit des LfV Hessen mit besonderem Blick auf die
Ceska-Mordserie und die mangelnde Berücksichtigung rechtsextremer Motive.

Als erster Zeuge wurde Hans-Joachim Muth befragt, welcher im Jahre 2006
als Abteilungsleiter Beschaffung im LfV Hessen tätig war und damit als
Vorgesetzter von Iris Pilling, der direkten Vorgesetzten von Andreas
Temme, fungierte. Auf die Frage, wie der Sachverhalt einzuschätzen sei,
dass Temme während des Mordes an Yozgat am Tatort anwesend war, sich im
Nachhinein jedoch nicht bei den Polizeibehörden meldete, erwiderte Muth,
von Temme enttäuscht gewesen zu sein. Temme habe „nicht alle Tassen im
Schrank“ und sein Verhalten sei ein „Paradebeispiel“ für die Einleitung
eines Disziplinarverfahrens gewesen, so Muth. In diesem Zusammenhang
bestätigte Muth, dass er an der Durchführung des Disziplinarverfahrens
gegen Temme beteiligt war. Warum dieses Verfahren, welches sich auf eine
lange Liste dienstrechtlicher Verstöße bezog, nach der Versetzung Temmes
eingestellt wurde, konnte Muth jedoch nicht erklären. In seinen
Bemerkungen zu drei polizeilich abgehörten Telefonaten, die er mit Temme
im Mai 2006 führte, sagte Muth aus, dass es ihm weniger um eine
Befragung Temmes ging, sondern eher darum, im Sinne eines kollegialen
Führungsstils nach der persönlichen Situation Temmes als angehender
Familienvater zu fragen. Weiteres Thema der Vernehmung war die von
Bouffier verfügte Verhinderung der polizeilichen Befragung der V-Leute
Temmes. In diesem Zusammenhang betonte Muth mehrfach die Priorität des
Quellenschutzes. Eine Quelle dürfe „nicht bei jeder Gelegenheit, in
diesem Fall einer besonders drastischen“ preisgegeben werden. Hierbei
grenzte er sich deutlich von der wenige Tage zuvor angehörten ehemaligen
LfV-Mitarbeiterin Catrin Rieband ab, welche aussagte, dass es
prinzipiell möglich gewesen wäre, Temmes Quellen zu verhören.1
Schließlich wurde Hans-Joachim Muth zu einem Treffen zwischen LfV Hessen
und BKA befragt, welches am 17.03.06 stattfand und Muth zufolge die
Ceska-Mordserie zum Gegenstand hatte. Dabei war Muth sich nicht sicher,
ob ein formelles Protokoll des besagten Treffens angefertigt wurde.
Hans-Joachim Muth bezeichnete das Zustandekommen des Treffens als
„merkwürdig“, da das BKA normalerweise das BfV und nicht die LfVs als
Ansprechpartner suchen würde. Zudem berichtete er über den Inhalt dieses
Treffens, das nur wenige Wochen vor dem Mord an Yozgat stattfand, es sei
dabei explizit um Rechtsextremismus gegangen. Dies steht im Widerspruch
zu Muths genereller Aussage, dass es im Bezug auf den Mord an Yozgat als
Teil der Ceska.Mordserie keine Hinweise auf einen rechtsextremen
Hintergrund gegeben habe. Gleichzeitig sind seiner Ansicht nach zentrale
Fehler in den Ermittlungen geschehen: So gab er an, von einem möglichen
Oidoxie-Konzert im März 2006 erst sehr viel später aus der Presse gehört
zu haben, was er als „Katastrophe“ bezeichnete.

Als zweiter Zeuge wurde Heinz Fromm, von 1991 bis 1993 Direktor des LfV
Hessen und von 2000 bis 2012 Präsident des BfV, befragt. In seinem
längeren Eingangsstatement machte Fromm einige Bemerkungen zu seiner
eigenen Tätigkeit beim Verfassungsschutz sowie zu dessen Arbeitsweise
und Ausrichtung. Fromm gab an, dass Rechtsterrorismus in den 90ern und
frühen 2000ern eine herausragende Bedeutung gespielt habe; in den
letzten Jahren habe es jedoch insofern eine Veränderung der Lage
gegeben, als dass Rechtsterrorismus zwar weiterhin nicht auszuschließen
sei, es in den letzten Jahren jedoch an konkreten Anhaltspunkten
gemangelt habe. Weiterhin berichtete Fromm von einer intensiven
Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Verfassungsschutzämtern, welche
jedoch im Bereich Rechtsextremismus zu spät intensiviert wurde. Darüber
hinaus beschwerte er sich, dass es während seiner Amtszeit immer wieder
dazu gekommen sei, dass er über zentrale Entwicklungen und Operationen
im Bereich Rechtsextremismus nicht informiert wurde. Dass der Thüringer
Neonazi Tino Brandt als V-Mann des LfV Thüringen geführt wurde, habe
Fromm beispielsweise erst im Jahre 2001 aus der Presse erfahren.
Außerdem gab er an, er sei über die „Operation Rennsteig“, eine der
zentralen Operationen zur Anwerbung von V-Leuten in der Thüringer
Neonazi-Szene zwischen 1996 und 2003, nicht informiert gewesen.
Nichtsdestotrotz zeigte er sich davon überzeugt, dass die polizeilichen
und geheimdienstlichen Ermittlungen im Bezug auf die Ceska-Mordserie
nicht fehlerhaft waren. Im Bezug auf die Sperrklausel gegenüber Temmes
V-Leuten schilderte Fromm, dass die alleinige Entscheidung beim LfV
Hessen liege, es jedoch durchaus möglich gewesen wäre, Temmes V-Leute
nach ihrer Enttarnung durch die Polizei vernehmen zu lassen. Zu einem
rechtsextremen Hintergrund gab es laut Fromm keinerlei Hinweise:
„Niemand ist auf diese Idee gekommen“, so Fromm. Dass jeder der
NSU-Morde mit derselben Waffe begangen wurde, konnte Fromm sich nicht
erklären. Auf die Frage, wieso das Innenministerium im Jahr 2000 zwar
Blood & Honour, jedoch nicht Combat 18 verboten hat, antwortete Fromm,
dass Combat 18 in Deutschland über keine „verbotsfähige Struktur“ im
Sinne des Vereinsrecht verfüge; außerdem würde Combat 18 in Deutschland
lediglich über „Sympathisanten“, nicht jedoch über aktive Mitglieder
verfügen.

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