Bericht zur siebten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses (27. April 2015)

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Zur 7. siebten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses waren zwei Abgeordnete aus dem Bundestagsuntersuchungsausschuss (BUA) sowie die Vorsitzende des ersten Thüringer Untersuchungsausschuss geladen. Sie sollten zum Stand der parlamentarischen Aufarbeitung des NSU-Komplexes und zu offenen Fragen mit Bezug auf Hessen Auskunft geben.

Nachdem der Zeuge Hartfried Wolff (FDP, ehemals MdB) nicht anwesend war, stellte der Ausschussvorsitzende Honka (CDU) fest, dass er anscheinend nicht ordnungsgemäß geladen wurde.

Anhörung Wolfgang Wieland, ehemals MdB (Grüne)

Wieland war OB-Person im BUA und referierte als Parlamentarier zu diesem. Seiner Meinung nach sollten Untersuchungsausschüsse nur in den Bundesländern eingesetzt werden, wo ein Aufklärungsbedarf bestehe, wo neue Informationen das erforderlich machten. Für ihn gebe es in Hessen ohne Andreas Temme keine offenen Fragen. Dessen Aussagen im BUA bewertete er als unglaubwürdig, diese Einschätzung hätten auch die anderen Abgeordneten geteilt. Auch im Innenausschuss des Bundestages habe es ein „allgemeines Erstaunen“ gegeben, dass eine solche Person „Verfassungsschützer“ habe werden können. Wieland kritisierte die Entscheidung des damaligen Innenministers Bouffier, den Ermittlungsbehörden zu untersagen, Temmes V-Leute zu vernehmen. Es hätte der Polizei möglich sein müssen, den Fall auszuermitteln. Im BUA habe man sich darauf geeinigt, keine V-Leute zu hören, berichtete Wieland. Er endet mit dem Ergebnis, dass Verfassungsschützer anders ausgesucht und geführt werden müssten, als es bei Temme der Fall war.

Wieland empfiehlt auf Nachfrage, den Untersuchungsausschüssen alle Akten zur Verfügung zu stellen. Aus seiner Sicht hätte zudem der Generalbundesanwalt (GBA) die Ermittlungen in der Ceska-Mordserie schon früh übernehmen müssen. Für die Familien wäre es wichtig gewesen, entlastet zu werden. Sie mussten aufgrund der einseitigen Ermittlungen bis zum Schluss damit leben, dass ihre Ehemänner und Väter verdächtigt wurden, in der organisierten Kriminalität aktiv zu sein. Obwohl das BfV eine Expertise lieferte, aus der hervorging, dass fehlende Bekennerschreiben auf einen rechtsextremen Hintergrund schließen lassen könnten, wurde weiterhin in Richtung organisierte Kriminalität ermittelt. Wieland sagte, niemand sei auf die Idee gekommen, die Bankraubserie, Morde und Bombenanschläge in einer Linie zu sehen.

Zu Hessen sagte er, dass Polizei und Staatsanwaltschaft trotz der nicht erteilten Aussagegenehmigung vorhatten, zeitgleich alle V-Männer von Temme abzuholen, um sie zu verhören, dies dann aber nicht umsetzten. Die Frage, wie weit Quellenschutz gehen darf, ist für Wieland schwierig zu beantworten. Seine Kollegen und ihn überzeugte die Begründung, dass dies dem Wohle des Landes Hessen diene, nicht. Wieland ist der Meinung, dass der NSU ein breites Unterstützungsnetzwerk hatte, welches auch straffällig wurde. Inwieweit dieses von den Taten wusste, sei unklar.

Anhörung Dorothea Marx, MdL Thüringen (SPD)

Dorothea Marx war Vorsitzende des ersten UA des Thüringer Landtags. Sie berichtete von der nordhessischen Neonazi-Szene und deren Verbindungen nach Thüringen. Schon seit den frühen 1990er Jahren habe es diese gegeben. Eine zentrale Rolle spielte hierbei Manfred Roeder, auf dessen Liegenschaft in Nordhessen damals schon Neonazitreffen stattfanden. Roeder stand 1996 wegen eines Farbbeutelwurfs auf die Wehrmachtsausstellung in Erfurt vor Gericht. Böhnhardt, Mundlos und André Kapke waren damals anwesend.

Ex-Temme-V-Mann Benjamin Gärtner war nach Auffliegen des NSU auf einer Liste mit 38 Namen, die die Generalbundesanwaltschaft erstellt hat. Nach Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos wird Gärtner an 11. Stelle erwähnt, alle vor ihm seien heute angeklagt im NSU-Prozess oder tot. Erwähnt wird ebenfalls an 22. Stelle Sven Dieter W., ein Kumpel von Gärtner, dessen Auto zur Tatzeit unweit des Tatorts in Kassel parkte (Frömmrich verwies hier später darauf, dass die Polizei ermittelt habe, dass das Auto von W.s Freundin gefahren wurde, weil sie in der Nähe arbeitete). Marx berichtete, Gärtner sei hinsichtlich Zuverlässigkeit und Wahrheitsgehalt vom LfV Hessen mit B, einer sehr hohen Stufe („Top-Spion“), eingestuft worden. Tino Brandt hatte ebenfalls diese Einstufung. Gärtner sei auch auf seinen Stiefbruder Christian W. angesetzt gewesen.

In einer hessischen Kneipe („Scharfes Eck“ in Reinhardshagen) sei Mundlos in den frühen 2000er Jahren öfters gesehen worden, hatten Zeugen behauptet, sagte Marx. Medienberichten zufolge sei auch Temme in dieser Kneipe gesehen worden, wo auch Rocker verkehrt haben sollen. Das BKA habe nicht ermittelte, weil das Trio keine Kontakte zur organisierten Kriminalität gehabt habe. Dies sei aber lange wiederlegt. Auch Temme habe bis heute Kontakte zu Rockern. Einer seiner Facebook-Freunde sei auch mit Menschen aus dem Sturm-18-Umfeld in Kassel befreundet, sagte sie. Temme sei mit dem Kassler Hells-Angels-Präsident Angeklagter in einem Strafverfahren wegen verratener Dienstgeheimnisse gewesen, das 2006 eingestellt worden sei. Es sei um eine LKA-Broschüre zu Rockerkriminalität gegangen, die „nur für den Dienstgebrauch“ war und bei einem Hells-Angels-Mitglied gefunden wurde.

Marx erklärt, es sei schwierig nachzuvollziehen, inwieweit Akten vollständig eingegangen sind. Marx berichtet, dass der UA in Thüringen alle Akten habe einsehen können, ausgenommen derer, die sich auf Privatsphäre bezögen. Diese seien teilweise nur beim LfV vor Ort einsehbar gewesen („Haarberg-Verfahren“ nach der Straße, wo das LfVThüringen in Erfurt ansässig ist). Sie ermutigte den UA in Hessen, sich einen umfassenden „Aktenrückhalt“ zu schaffen.

In der Befragung berichtete sie zudem davon, dass es in Erfurt eine Schulungsveranstaltung zur Ceska-Serie der BAO Bosporus gegeben habe, die Kassler Beamte durchgeführt hätten. Dort wurde ein rechtes Motiv nicht als Möglichkeit genannt. Marx sagte, dass der thüringische Verfassungsschutz maßgeblich von hessischen Beamten aufgebaut worden sei. Es habe regelmäßige „Ehemaligentreffen“ zwischen den hessischen Verfassungsschützern und ihren Kollegen, die nun in Thüringen arbeiteten, gegeben.

Marx argumentierte für einen weiteren BUA und berichtete, dass der thüringische UA sich vor allem den Ermittlungen nach dem Auffinden der Toten Böhnhardt und Mundlos in ihrem Wohnwagen in Eisenach, der Kontakte des NSU zur organisierten Kriminalität und dem Mord an Michèle Kiesewetter widmen wolle, hier sei das Umfeld in Thüringen nicht beleuchtet worden.

Honka sagte während der Sitzung einmal, dass Temme „häufiger bei uns zu Gast“ sein werde.

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