Bericht zur fünften öffentlichen Sitzung des Untersuchungssausschusses (20. März 2015)

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Als erster Sachverständiger war in der fünften öffentlichen Sitzung der Bielefelder Rechtswissenschaftler Christoph Gusy geladen, der zur Arbeitsweise der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden aus verfassungsrechtlicher Perspektive Stellung nahm.
In seinem kurzen Vortrag und der anschließenden Fragerunde wurden vor allem drei Themenbereiche diskutiert: Das grundsätzliche rechtliche Verhältnis von Polizei und Verfassungsschutz, die Regelung der gegenseitigen Informationsübermittlung, und die Frage nach der Priorität des sogenannten ‚Quellenschutzes‘. In allen drei Bereichen sah Gusy erhebliche gesetzliche Defizite.

Die Trennung der Verfolgungsbehörden vom Verfassungsschutz begründe sich darin, dass eine Behörde mit weitreichenden Kompetenzen für Spionage keine Zwangsmittel bereithalten solle, zumal für den Geheimdienst auch viele legale Tätigkeiten von Interesse seien. Gleichzeitig dürfe die Polizei mit ihren weitreichenden Zwangsmitteln keine Spionage betreiben, sondern allein Straftaten verfolgen. Es sei eine klare Trennung von „Herumschnüffeln“ und Verfolgung von Straftaten. Teilweise sei jedoch eine Zusammenarbeit notwendig, unter anderem, wenn Straftaten einen politischen Hintergrund haben. Das Kooperationsgebot für diese Fälle der Überschneidungen ist nach Gusy nicht ausreichend gesetzlich geregelt.

Eine Verbesserungsmöglichkeit sieht Gusy in der Rückführung der Behörden auf ihre jeweiligen Kerngeschäfte, um klarere Verantwortungen zu schaffen. Dennoch ließen sich Schnittstellen nicht vollkommen vermeiden, es käme jedoch darauf an besser mit ihnen umzugehen.
Dafür brauche es eine neue Informationskultur, in der der vor allem beim Verfassungsschutz herrschende Abschottungsgedanken aufgegeben werden und die Tradition des „meine Information, deine Information“ einer Kultur des offenen Austauschs weichen müsse.

Um das zu erreichen, erfordere es klarere gesetzliche Bestimmungen für eine Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Zuständigkeiten, aber auch ein Umdenken der einzelnen Beamten. Im konkreten Bezug auf die Ermittlungen zum NSU bezeichnete Gusy die mangelhafte Kooperation der Thüringer Behörden als „Großmutter des NSU-Skandals“. Dort habe bei den Ermittlungen jede Stelle auf die andere als zuständig verwiesen, was zu keinerlei Ermittlungsdruck geführt habe.

In Hessen sei, so Gusy, ein gegenseitiger Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei gesetzlich festgelegt. Jedoch sei die Polizei verpflichtet, Informationen weiterzugeben, der Verfassungsschutz dagegen nur dazu berechtigt. Damit gäbe es keine verbindliche Regelung für ein Vorgehen in dem Fall, dass eine Zusammenarbeit dringend geboten ist. Die Anzeigepflicht für konkrete Verbrechen, die auch für jeden Mitarbeiter des Verfassungsschutzes als Bürgerpflicht gelte, ende, nachdem das Verbrechen geschehen sei. In der anschließenden Aufklärung gebe es dagegen erhebliche Ermessensspielräume in der Einschätzung, welche Informationen weitergegeben werden müssten.
Die Informationspflicht zur Verhinderung von Straftaten im §10 des Verfassungsschutzgesetzes konkurriere mit der Regelung im §15, der besagt, eine Datenübermittlung müsse unter anderem unterbleiben, wenn ein überwiegendes Sicherheitsinteresse gegeben sei. Damit müsse nach Gusy zwischen dem Aufklärungsinteresse und einer möglichen Gefährdung des öffentlichen Wohls abgewogen werden. Diese Abwägungsgrundsätze seien jedoch intransparent, kritisiert Gusy, und  das Gesetz sei nicht der Ort an dem man diese Abwägung fände.

Die Frage nach den Grundsätzen zur Weitergabe von Informationen durch den Verfassungsschutz  an die Polizei war im Sachverständigengespräch eng verknüpft mit der Frage nach der Reichweite der Fürsorgepflicht des Verfassungsschutz für seine Mitarbeiter und Informationsgeber. Um diese klar zu begrenzen, müsse der Einsatz von V-Leuten zunächst im Gesetz geregelt werden, nicht wie bisher in den internen Dienstvorschriften, die sich paralegal neben dem Gesetz her entwickelt hätten.
Der Quellenschutz stehe unter dem Gesetz, nicht über dem Gesetz und die Strafverfolgung habe rechtlich Verfassungsrang, machte Gusy deutlich. Wenn ein V-Mann einmal bekannt geworden sei, falle auch die Notwendigkeit einer Aussagegenehmigung weg und dass er nicht aussagen könne, sei in diesem Fall nicht begründbar. Es sei sogar juristisch sehr gewagt überhaupt eine Genehmigung zu verlangen oder gar eine Genehmigung zu verweigern. V-Männer fielen laut Gusy nicht unter das Beamtengesetz, das unter bestimmten Umständen eine Aussagegenehmigung fordert, denn V-Leute seien eben keine Beamten, „das wäre ja noch schöner“.

Im Anschluss wurde in Bezug auf die Aussagegenehmigungen von Benjamin Gärtner die rechtliche Stellung von V-Leuten, Informanten und Gewährsleuten thematisiert, nachdem die Frage aufkam, ob für Gärtner, der lediglich Gewährsperson, also ein Spitzel des niedrigsten Ranges war, die Notwendigkeit einer Aussagegenehmigung demnach weniger gelte.

Gusy erläuterte daraufhin, dass alle drei Kategorien von Informationsgebern des Verfassungsschutzes im Gegensatz zu verdeckten Ermittlern bei der Polizei keine Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind. Damit gelten sie, wie er weiter ausführt, rechtlich als Privatpersonen, für die sich eine Fürsorgepflicht nur aus dem geschlossenen Vertragsverhältnis ergeben könne. Dieses müsse sich an der geltenden Rechtslage orientieren, die von den Behörden nicht übergangen werden dürfe. Eine Unterscheidung in die Kategorien der Informationsgeber und die Verschriftlichung der Vertragsverhältnisse könnten zwar innerhalb der Behörde Verantwortlichkeiten regeln, die rechtliche Relevanz außerhalb des Dienstverhältnisses sei jedoch besonders im Hinblick auf die Aussagepflichten nicht ausreichend geklärt.

Insgesamt stelle die rechtliche Stellung der V-Leute ein „Mittelgroßes Rätsel“ in der Rechtswissenschaft dar, fasst Gusy zusammen, wo das Recht an seine Grenzen stoße. Die juristischen Grauzonen in diesem Bereich bedürften dringend der Klärung. Mehrfach betonte Gusy, dass es unabhängig von der rechtlichen Frage, wie weit die Fürsorgepflicht gegenüber den Informationsgebern reicht, andere Möglichkeiten zu deren Schutz gibt als die Zurückhaltung von Informationen, wie z.B. Zeugenschutzprogramme.

Am Nachmittag wurde der leitende Kriminaldirektor im Polizeipräsidium Frankfurt am Main Andreas Röhrig gehört. Der frühere Leiter Frankfurter Kriminalinspektion für Kapitalverbrechen hielt einen ausführlichen Vortrag zur den Arbeitsabläufen der Polizei im Falle eines Tötungsdeliktes. Darin erläuterte er kleinschrittig die Abfolge der einzelnen Arbeitsschritte vom Notruf über die Tatortsicherung bis zur Zeugenbefragung. Im Bereich der weiterführenden Ermittlungen beschrieb er detailliert die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener kriminalistischer Maßnahmen. Wenn die personenbezogenen Datenbanken der Polizei und des Staatsschutzes keine zielführenden Informationen über Zeugen oder Beschuldigte bereithielten, führe der Weg zum Täter oft nur über das Opfer. In diesem Fall müsse auch im persönlichen Umfeld intensiv ermittelt werden. Hier sei Sensibilität mit den Angehörigen gefordert, was allerdings eine Kooperationsbereitschaft mit beispielsweise dem polizeipsychologischen Dienst voraussetze. Angehörige bestimmter Nationalitäten seien demgegenüber jedoch häufig misstrauisch.

Auf Nachfrage Honkas erläuterte Röhrig die Zuständigkeiten für die Protokollierung von Abhörmaßnahmen. Wie ausführlich diese dokumentiert würden, hänge von der jeweiligen Beweiskraft ab. Darüber entscheide letztendlich die Person, die das Gespräch abhöre. Alle TKÜ-Maßnahmen würden jedoch vollständig aufgezeichnet und zentral beim LKA gespeichert, sodass die Möglichkeit bestünde, sie nachträglich noch einmal anhören zu können.

Generell laufe auch in anderen Bereichen der Ermittlung die Zusammenarbeit mit anderen Behörden über das LKA. Eine direkte Zusammenarbeit mit beispielsweise dem Verfassungsschutz sei in der Regel nicht üblich. Röhrig bewertete diese Zusammenarbeit als erfolgreich und sah keinen Optimierungsbedarf in der Kommunikation zwischen den Behörden.

Nach den Ausführungen Gusys und Röhrigs endete der öffentliche Teil der Sitzung. Der Ausschuss führt seine Arbeit am Montag den 20.04.2015 mit weiteren Sachverständigenanhörungen fort. Die Sitzung ist öffentlich.

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